Pressekonferenz von Staatspraesident im anschluss an den Europaeischen Rat - auszuege -

Pressekonferenz von Staatspraesident Jacques CHIRAC im anschluss an den Europaeischen Rat - auszuege -

Bruessel, 24. Maerz 2006

(...)

Der Rat hat in einigen Punkten konkrete Fortschritte ermöglicht, besonders aber für die Zukunft Europas. Ich weiß, dass es zum guten Ton gehört, Zweifel oder Skepsis zu äußern, aber die Wahrheit ist: Europa macht Fortschritte. Es hat immer Fortschritte gemacht, indem es seine Schwierigkeiten überwunden hat, und es macht weiter so!

In vorliegenden Fall steht es ganz offenbar vor einem großen Problem, und wir haben Anfang des Jahres gesehen, welche Folgen das haben kann. Schon seit geraumer Zeit war klar, dass in diesem Bereich Initiativen gefragt sind. Aber die jüngsten Ereignisse zeigen die Dringlichkeit solcher Initiativen noch einmal ganz deutlich. Europa braucht in der Tat eine Energiepolitik.

Frankreich setzt sich seit einiger Zeit beständig für diesen Bereich ein, um zu überzeugen. Das ist so mit dem Energiegesetz, das wir im Juli 2005 verabschiedet haben. Das war so, als wir beim französisch-britischen Treffen in Paris im Vorfeld des Gipfels von Hampton Court unsere britischen Freunde überzeugt haben, das dieser wesentliche Punkt auf die Tagesordnung von Hampton Court gesetzt werden musste. Was auch geschehen ist.

Ich habe auch in den Neujahrswünschen 2006 auf die Bedeutung des Energiebereichs im Allgemeinen und auf eine europäische Energiepolitik im Besonderen hingewiesen. Ich hatte übrigens, auf rein französischer Ebene, Untersuchungen zur vierten Generation erwähnt und angekündigt.

Wir haben unser Memorandum im Januar vorgelegt, das in den großen Linien und im Grundsatz von allen unseren Partnern für gut befunden und verabschiedet worden ist und weitgehend in das Grünbuch der Kommission eingegangen ist. Das alles hat zu dem Bewusstsein geführt, dass wir eine Energiepolitik brauchen. Das war ein sehr wichtiger Schritt nach vorne beim Aufbau eines dynamischen und organisierten Europa.

Der Rat hat heute eine ehrgeizige Strategie für eine sichere, wettbewerbsfähige und nachhaltige Energie für Europa angestoßen. Es geht um drei Hauptziele: Die Anstrengungen, die in diesem Bereich unternommen wurden, sollen strukturiert werden; dabei geht es auch um die Versorgungssicherheit, die heute noch lange nicht sichergestellt ist. Die erforderlichen neuen Kapazitäten sowohl im Hinblick auf die Produktion als auch den Transport müssen festgestellt werden. Energien, die wenig oder kein Treibhausgas produzieren, müssen gefördert werden. Und nicht zuletzt soll eine Energieaußenpolitik uns eine kohärente Stimme gegenüber unseren Partnern ermöglichen. Ich freue mich darüber, dass die Kommission beauftragt wurde, einen mehrjährigen strategischen Rahmen aufzuarbeiten, in dem die Anstrengungen der Mitgliedstaaten im Energiebereich koordiniert werden sollen. (...)

Zweites Thema waren die Bereiche Forschung und Innovation. Jeder weiß und jeder sieht, dass Europa in Sachen Anstrengungen für Forschung und Innovation heute an Rang verliert, wenn man mit anderen großen Ländern vergleicht, auch mit den Schwellenländern. Das dies seine Zukunft bedingt, muss nicht unterstrichen werden. Folglich sind besondere, europäische Anstrengungen von großer Bedeutung, damit die Mittel für Forschung und Innovation ausgebaut werden.

(...) Was die Mittel angeht, so hatte ich in Hampton Court, nach einer Idee von Jean-Claude Juncker, vorgeschlagen, dass eine umfassende Finanzfazilität für Forschung und Entwicklung umgesetzt wird, mit der eine Verdoppelung der Mittel für Forschung und Innovation für den Zeitraum 2007-2013 angestrebt wird.

Dazu hatte ich vorgeschlagen, auf die Europäische Investitionsbank zurückzugreifen, die ausreichend Mittel hat bzw. nicht so viel braucht. Ich hatte vorgeschlagen, dass die Europäische Investitionsbank von ihren Eigenmitteln eine Milliarde Euro freimacht, die ergänzt werden durch eine Miliarde Euro, die von der Kommission aus dem Gemeinschaftshaushalt kommen, also insgesamt zwei Milliarden Euro. Mit diesen zwei Milliarden Euro könnten zehn Milliarden Anleihen bei Unternehmen gemacht werden, vor allem bei Klein- und Mittelbetrieben, die im Bereich Innovation und Forschung am meisten ermutigt werden müssen. Mit diesen zehn Milliarden Euro und dem Privatkapital, das noch hinzu kommt, könnten Investitionen in Höhe von 30 Milliarden für Forschung und Innovation getätigt werden, was im Klartext heißt, dass für den Zeitraum 2007-2013 die Forschungs- und Innovationsmittel für Europa verdoppelt würden.

Dieser Schritt, den ich vorgeschlagen habe, ist also ziemlich wesentlich. Das wurde besprochen und die Schlussfolgerungen waren positiv. Im Grundsatz sind diese 30 Milliarden Euro verabschiedet worden.

Im Übrigen haben wir das Projekt der Kommission unterstützt, ein Europäisches Technologieinstitut einzurichten, das eine bessere Kohärenz im Bereich des Studiums und des Ausbaus der Forschung, vor allem auf der Ebene der Eliteschulen, der Universitäten und der zuständigen Einrichtungen, ermöglichen würde.

Drittens haben wir über die Beschäftigungslage, besonders über die Situation der jungen Menschen gesprochen, und ich habe, ebenso wie meine Kollegen übrigens, auf den doppelten Aspekt dieses Problems hingewiesen, nämlich den sozialen und den moralischen Aspekt der Integration Jugendlicher in das Berufsleben und in die Gesellschaft; und es gibt auch den wirtschaftlichen Aspekt. Denn die hohe Jugendarbeitslosigkeit in Europa ganz allgemein ist, verglichen mit einigen anderen Ländern, ein nicht zu vernachlässigender Bestandteil der unzureichenden wirtschaftlichen Dynamik. Man verzichtet in gewisser Weise auf aktive Kräfte, die in den Dienst der Gesellschaft und aller jungen Menschen gestellt werden müssten. Also ergibt sich eine soziale Forderung, die für alle nachvollziehbar ist und die ich hier nicht ausführen muss, aber auch eine wirtschaftliche Forderung.

Also muss jeder Jugendliche, der arbeitslos ist, im höchstmöglichen Maße eine auf ihn zugeschnittene Lösung finden können, und zugleich muss man im Voraus handeln können, bei der Ausbildung, beim Ausbildungsniveau, dass unbestritten in einigen Ländern und besonders auch in Frankreich derzeit nicht ausreichend ist.

Für den Beschäftigungsbereich wurden noch zwei weitere Fortschritte erzielt. Der eine ist der Europäische Globalisierungsfonds, den die Kommission vorgeschlagen hat und der vom Rat angenommen wurde. Und zum anderen der Europäische Pakt für die Gleichstellung der Geschlechter, der in der gesamten Gemeinschaft Anwendung finden soll. Die Initiative dazu ging vor einigen Monaten vom schwedischen Premierminister aus und Frankreich hat sich ihr sofort angeschlossen.

Soviel zu den wichtigsten Punkten, die besprochen worden sind. Ich kann aber noch eine kleine Geschichte hinzufügen. Ich habe gestern Morgen Angela Merkel ziemlich überrascht erlebt, weil sie in der französischen Presse, nicht in der deutschen, gelesen hatte, sie habe Bedenken angesichts des französischen "Protektionismus" geäußert, worüber überhaupt nicht gesprochen worden ist und was absurd ist, und angesichts der Meinungsverschiedenheiten zwischen Deutschland und Frankreich im Energiebereich. Mir ist also sehr daran gelegen, diejenigen zu beruhigen, die auf den Fluren in dem Zusammenhang vielleicht etwas Falsches aufgeschnappt haben. Die deutsche und die französische Regierung haben zusammen während fast vier Monaten unsere gemeinsame Politik in Sachen Energie vorbereitet, übrigens völlig problemlos, und beim deutsch-französischen Ministerrat vor kurzem in Berlin haben wir sie verabschiedet. Angela Merkel hat sie, weil sie zu diesem Thema berichtet hat, gestern beim Abendessen vorgetragen, und ich kann ihre Worte nur voll und ganz unterschreiben, haben wir sie doch gemeinsam ausgearbeitet.

Ich wollte Ihnen also nur sagen, dass ich Frau Merkels Empörung nicht teile, vielleicht weil ich schon länger als sie an so etwas gewöhnt bin, ich kann nur alle beruhigen und sagen, dass die deutsch-französische Kohärenz, in diesem Bereich wie in den anderen, absolut perfekt ist und und nicht im geringsten von Schwierigkeiten überschattet ist.

(...)

Ich dachte mir schon, dass die Frage nach dem Protektionismus gestellt wird. Und ich werde auch auf die Frage nach Gaz de France/Suez antworten.

Ich möchte zunächst sagen, dass es in gewisser Weise modern geworden ist, vor allem bei den sehr oberflächlichen Beobachtern von Wirtschaftsfragen, Frankreich Protektionismus nachzusagen. Nun nimmt Frankreich, im Verhältnis zu seinem Bruttoinlandsprodukt, doppelt so viele ausländische Investitionen auf wie Deutschland und dreimal so viele wie Italien. Jetzt können Sie antworten: Das sagen Sie, aber wo sind die Beweise. Ich gehe von Angaben aus, die keiner bestreitet und die jeder anerkennt, nämlich dem letzten Bericht des Internationalen Währungsfonds von 2004, aber hier hat sich nichts wesentlich geändert.

Der Bericht heißt "Bestand an ausländischen Investitionen im Verhältnis zum BIP eines jeden Landes, Internationaler Währungsfonds" und er wird, wie ich glaube, nicht angezweifelt. Daraus geht hervor, dass die ausländischen Investitionen in Frankreich 42% der Investitionen ausmachen, gefolgt von Großbritannien mit 36%, Deutschland mit 24%, also halb so viel wie Frankreich, Spanien mit 21% und Italien mit 13%, dreimal weniger als Frankreich. Aus demselben Bericht geht hervor, dass in Frankreich im Privatsektor ganz allgemein jeder siebente Arbeitnehmer und im Industriesektor jeder vierte bei einer ausländischen Firma beschäftigt ist; in Großbritannien ist es jeder zehnte, in Deutschland jeder zehnte, in den Vereinigten Staaten jeder zwanzigste.

Ich möchte noch hinzufügen, dass 45% des Kapitals der großen französischen börsennotierten Unternehmen (CAC 40) in ausländischer Hand sind; 45%, das ist ein Rekord in Europa. Jetzt werden Sie verstehen, warum ich mir sage, wenn ich im Zusammenhang mit Frankreich von Protektionismus reden höre, dass man wirklich alles Mögliche verbreitet, auch wenn es ganz offensichtlich nicht stimmt. Niemand kann diese These untermauern, niemand, der auch nur im Geringsten kompetent ist. Deshalb habe ich mich auch sehr gewundert, als ich hörte, hier würde über diese Probleme gesprochen, über die natürlich nicht gesprochen wurde, aus dem einfachen Grund, weil sie gegenstandslos sind. Jeder weiß genau, wie die Situation in Frankreich ist, in dem Land, das so offen wie kein anderes für ausländische Investitionen ist.

Frankreich ist übrigens eines der wenigen Länder, die Banken an Ausländer verkauft haben, zum Beispiel die CCF, auch Versicherungen, wie die AGF; und das wesentliche Teile im Verkehrsbereich unter ausländische Kontrolle gestellt hat, wie zum Beispiel EADS. Das erklärt, das keiner dieses Thema während des Europäischen Rates aufgegriffen hat.

Zweitens Gaz de France/Suez: Es gab Gerüchte, nach denen die ENEL, die ganz von der italienischen Regierung kontrolliert wird, eine feindliche Übernahme der Suez geplant hatte, um sie dann zu zerschlagen. Eine rein finanzielle Sache ohne jedes wirtschaftliche Motiv und überdies noch mit Blick auf zwei völlig unterschiedliche Kulturen, denn hier geht es nicht um ein europäisches Unternehmen, sondern um ein französisch-belgisches. Es ist nicht erforderlich, in diesem Zusammenhang auf die Bedeutung des Stroms für Belgien hinzuweisen.

Natürlich hat man hier zweimal hingeschaut. Schon deshalb, weil seit über sechs Monaten Fusionsverhandlungen zwischen Gaz de France und Suez laufen. Wenn das so lange dauert, dann deshalb, weil es kompliziert ist. Vor allem müssen unbedingt die Arbeitsplätze und der Status der Arbeiter bewahrt werden, also macht man das nicht auf die Schnelle. Entscheidende Elemente für eine mögliche Einigung sind der Status der Arbeitnehmer von Gaz de France und natürlich die Arbeitsplätze.

Ich sehe also nicht, dass man Frankreich Protektionismus vorwerfen kann, nur weil es nicht einfach einer rein finanziellen Operation nachgeben will, die dem Willen der Aktionäre und des französischen wie des belgischen Staats widerspricht, daher unsere Haltung. Ich weiß nicht, ob das später noch geschieht, das werden wir sehen, jedenfalls ist auch dieses Thema nicht bei diesem Rat angesprochen worden./.





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