Pressekonferenz mit staatspräsident nach dem Europaeischen Rat

Pressekonferenz mit staatspräsident Jacques CHIRAC nach dem Europaeischen Rat

Brüssel, 16. Juni 2006

(...) Von all dem, was getan wurde, möchte ich zunächst darauf hinweisen, wie wichtig für den Rat der Prozess ist, der beim Gipfel in Hampton Court unter britischer Präsidentschaft angestoßen worden ist, wobei auf französischen Vorschlag hin das Europa der Projekte Vorrang hat. Das bedeutet, dass Lösungen für konkrete Probleme gefunden werden, denen sich unsere Mitbürgerinnen und -bürger stellen müssen.<0}

In diesem Sinne sind wir ein wesentliches Stück auf dem Weg zu einem Ziel hin vorangekommen, an dem uns liegt und das Frankreich nachdrücklich herausgestellt hat, nämlich die Fähigkeit der Europäer, auf internationale Krisen zu reagieren. Wir hatten entsprechende Vorschläge gleich nach dem Tsunami wie auch nach den Wirbelstürmen und Erdbeben gemacht, die in den letzten beiden Jahren aufgetreten sind. Die Europäische Union, die zwar auf finanzieller Ebene Anstrengungen unternommen hat, musste sich außerdem besser organisieren, damit sie auf solche Situationen reagieren kann. Das war ein erster Fortschritt.

Zweitens haben wir wichtige Gespräche über die Einwanderungsprobleme und die erforderlichen Lösungen geführt. In diesem Punkt habe u. a. ich darauf hingewiesen, dass man Fundamentalismus, Einwanderung und Terrorismus nicht verwechseln darf. Das sind ganz unterschiedliche Probleme. Zweiter Punkt: Man muss ganz klar sehen, dass die Einwanderung, und besonders die Einwanderung aus Afrika, darauf zurückzuführen ist, dass die Herkunftsländer nicht in der Lage sind, auf die Bedürfnisse vor allem der jungen Menschen einzugehen, aber auch der weniger jungen, der Familien, nämlich in ihrem eigenen Land zu leben, angesichts der Bevölkerungsexplosion und der Fortschritte der Diversifizierung in Afrika. Folglich ist eine Lösung in erster Linie eine Frage der Entwicklung. Von da ausgehend wird man die Einwanderungsprobleme ernsthaft und wirkungsvoll anpacken können.

Eine Lösung für die Entwicklungsprobleme, darauf habe ich hingewiesen, kann aber nur durch innovative Finanzierungen gefunden werden, für die wir mit den Medikamenten gegen die drei großen Pandemien ein Beispiel geliefert haben. Aber das ist nur ein Versuch. Denn tatsächlich muss mindestens eine Verdoppelung der öffentliche Entwicklungshilfe erfolgen, was nur über innovative Finanzierungen möglich ist, wenn man zumindest die Verpflichtungen des Millenniumsgipfels einhalten will. Dies ist eine grundlegende Frage, wenn man die Einwanderungsprobleme in den Griff bekommen will.

Im Übrigen gibt es noch andere Fragen, die einer Abstimmung, vor allem der Europäer, erfordern. Wir haben gesagt, dass Ceuta und Melilla und jetzt die Kanaren kein spanisches und auch kein marokkanisches, sondern ein europäisches Problem sind. Unter den Lösungen, die gefunden werden müssen, wird unbestritten ganz strikt bei der Aufdeckung des ganzen skandalösen Menschenhandels vorgegangen, der mit allen Mitteln bekämpft werden muss.

Wir haben diesbezüglich darauf hingewiesen, wie wichtig auf der Ebene der Außenminister die nächste euro-afrikanische Konferenz ist, die in Rabat stattfinden wird. Bei dieser Gelegenheit können wir uns austauschen und die erforderliche Partnerschaft zwischen den Herkunftsländern, den Transitländern, also hauptsächlich Nordafrika, und den Zielländern, also weitgehend den europäischen Ländern, aufbauen.

Mit demselben Blick auf das Europa der Projekte, das Europa der Ergebnisse, haben wir darauf hingewiesen, wie wichtig die Energiepolitik ist, die vom letzten Rat beschlossen wurde und die sich normal entwickelt, u. a. was unsere Versorgung angeht. Was natürlich ganz besonders wichtig ist, wenn wir unsere Wettbewerbsfähigkeit verteidigen wollen und – was heute als Hauptproblem, in jedem Fall bei den Europäern, angesehen wird – wenn wir gegen die Folgen der Klimaerwärmung angehen wollen.

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Wir haben auch lange über die institutionellen Probleme gesprochen, und zwar unter zwei Gesichtspunkten. Erstens: Wie gehen wir weiter mit der uns bekannten Situation um: 2 Länder haben den Vertrag abgelehnt, 15 oder 16 haben ihn angenommen und 7 oder 8 haben ihren Ratifizierungsprozess unterbrochen. Wie soll man auf die Anforderung nach der Modernisierung unserer Institutionen eingehen, die besonders im Kontext der Erweiterung so dringlich sind, und zwar auf neuen Grundlagen, die für alle annehmbar sind?

Wir waren der Ansicht, dass eine tiefergehende und entsprechend lange Überlegung notwendig wäre, die eine Verlängerung der Reflextionsphase erfordert und es ermöglicht hat, eine Abfolge von Schritten festzulegen, die im Grundsatz von allen angenommen wurde. Eine Abfolge von Schritten, die nach der Vorbereitung durch den finnischen EU-Vorsitz darin besteht, Vorschläge zu unterbreiten, und zwar zu Beginn oder so schnell wie möglich unter deutschem Vorsitz und die unter dem französischen Vorsitz im zweiten Halbjahr 2008 zum Abschluss gelangt.

Auf der Grundlage dieser Abfolge von Schritten dürfte eine konsensfähige Lösung über die institutionellen Probleme möglich sein. In der Zwischenzeit hat Frankreich bekanntlich nachdrücklich darauf bestanden, und im Grundsatz wurde auch vereinbart, dass im Rahmen der bestehenden Verträge bestimmte Reformen erfolgen und einige Initiativen ergriffen werden sollen, die zu einer besseren Funktionsweise der Institutionen im Rahmen der derzeitigen Verträge führen, also ohne dass der Vertrag geändert wird. Und auch das wurde verabschiedet.

Wir wünschen uns das im Bereich einer besseren Einbeziehung der nationalen Parlamente zur Umsetzung des Subsidiaritäts-Prinzips, auch zur systematischen Berücksichtigung, durch die Kommission und den Rat, der Sozialverträglichkeit der Entscheidungen oder Vorschläge, die zu unterbreiten sie veranlasst sind. Und nicht zuletzt im Bereich des außenpolitischen Handelns, mit einer Stärkung der Außenpolitik, und im Bereich der Sicherheit und der Justiz, für die wir ebenfalls Vorschläge unterbreitet haben, die sehr positiv aufgenommen wurden.

Dann haben wir auf meine Initiative hin noch über das Problem der Erweiterung gesprochen, also über die Aufnahmefähigkeit Europas, wobei der Grundsatz gilt, dass Europa eine Notwendigkeit für die weitreichende Verankerung des Friedens, der Demokratie, der Entwicklung und der Stabilität auf dem europäischen Territorium ist, dass es aber in demselben Sinne auch eine Aufnahmefähigkeit durch die Europäer geben muss.

Das setzt voraus, dass einerseits die politische Aufnahmefähigkeit, also die Aufnahmefähigkeit durch die Bevölkerung, berücksichtigt wird. Wir sind in einer Demokratie, da müssen auf die eine oder andere Weise die Völker sagen können, ob sie mit Erweiterungen einverstanden sind oder nicht. Dann die finanzielle Fähigkeit, denn jeder weiß, wenn man erweitert, werden die Ausgaben erhöht, und wenn man die Ausgaben erhöht, dann muss man entweder die Einnahmen erhöhen - also den europäischen Haushalt - dass muss klar sein - oder man stellt die derzeitigen Ausgaben der gemeinsamen Politiken wieder in Frage, die Kohäsionspolitik, die Agrarpolitik und andere. Und das muss auch den jetzt 27 oder 28 klar sein.

Wir brauchen Institutionen, mit denen das System funktionieren kann, und jeder weiß heute, dass diese Institutionen für zu viele Länder nicht angemessen sind. Es gibt also sowohl ein finanzielles als auch ein institutionelles und ein politisches Problem. Ich sage noch einmal deutlich, dass es für uns nicht in Frage kommt, die Erweiterungskriterien erneut anzutasten.

Wir stehen dem Grundsatz der Erweiterung positiv gegenüber. Diese Kriterien sind in Kopenhagen verabschiedet worden, und es besteht keine Veranlassung, sie zu ändern. Es muss einfach eine Einschätzung geben, für die, was die Vorschläge betrifft, die Kommission verantwortlich ist und die dann dem Rat vorgelegt werden muss, damit klar ist, welche Möglichkeiten oder Folgen eventuelle spätere Erweiterungen haben.

(···).





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