Internationale Konferenz "Solidaritaet und Globalisierung: Innovative Finanzierungsquellen fuer die entwicklung und gegen pandemien" rede von Staatspraesident Jacques CHIRAC - Auszuege -

Internationale Konferenz "Solidaritaet und Globalisierung: Innovative Finanzierungsquellen fuer die entwicklung und gegen pandemien" rede von Staatspraesident Jacques CHIRAC - Auszuege -


Paris, 28. Februar 2006

(...) Mit der Globalisierung erleben wir heute eine Revolution der Weltordnung. (...)

Obwohl der weltweite Reichtum ständig zunimmt, lebt ein Drittel der Menschheit weiterhin mit weniger als einem Euro pro Tag, die Hälfte der Menschen hat weniger als zwei Euro täglich zum Überleben. Heute vertieft die Globalisierung diese Ungerechtigkeiten noch, statt sie auszugleichen. Das demografische Wachstum, das sich auf die ärmsten Regionen konzentriert, verschlimmert dieses Phänomen zusätzlich. Mehr als jeder andere Kontinent hat Afrika, das immer noch eine marginale Rolle beim internationalen Handel spielt und das mit zahlreichen Behinderungen zurechtkommen muss, unter diesem Ungleichgewicht zu leiden, ein Ungleichgewicht, das der grundlegendsten Moral widerspricht, ein Ungleichgewicht, das den Frieden und die Stabilität in der Welt bedroht. Es wäre unverantwortlich, davor die Augen zu verschließen und nichts zu unternehmen.

Jahre lang herrschte die Illusion, dass die Globalisierung der Wirtschaft ausreichen würde, um alle Entwicklungsprobleme zu lösen. Heute gibt die Völkergemeinschaft zu, dass Solidarität erforderlich ist. (...)

Nachdem die öffentliche Entwicklungshilfe Jahrzehnte lang zurückgegangen ist, wird sie endlich wieder erhöht. Mit dem Schuldenerlass für die armen Länder, der beim G8 in Gleneagles beschlossen wurde, mit dem Engagement Europas und anderer großer Geldgeber, bis 2010 der internationalen Solidarität 50 Milliarden Dollar mehr pro Jahr zu widmen – die Hälfte davon für Afrika – erkennen die Industrieländer endlich an, dass Nachlässigkeit und Gewährenlassen keine Lösungen sind.

Wir wissen aber auch alle, dass diese Anstrengung den Bedarf nicht decken wird. Gemäß den Vereinten Nationen ist es notwendig, die öffentliche Entwicklungshilfe von heute 65 Milliarden auf fast 200 Milliarden Dollar bis zum Jahr 2015 zu erhöhen, wenn die Millenniumsziele erreicht werden sollen.

Angesichts einer solchen Herausforderung ist die traditionelle öffentliche Entwicklungshilfe unzureichend. Sie wird von den Staatshaushalten finanziert, die immer knapp sind, und ist als solche noch dazu dem Zufall unterworfen.

Die Lösung sind neue Finanzierungsmechanismen, die dabei helfen, einen Teil der Erträge aus der Globalisierung zur Verwendung zu bringen. Die notwendigen Summen mögen bedeutend erscheinen, sind aber im Vergleich zu den 40.000 Milliarden Dollar BIP weltweit oder zu den 8.000 Milliarden Dollar, die der Welthandel jährlich einbringt, sehr gering.

Wir haben mehrere Möglichkeiten: internationale Solidaritätsabgaben, eine Internationale Finanzfazilität, internationale Lotterien, Aufwendung der Ersparnisse aus der Migration, öffentlich-private Partnerschaften. Frankreich geht an all diese Optionen mit konstruktivem Geist heran. So beteiligen wir uns z. B. an einer internationalen Finanzfazilität für Impfungen, die in einigen Wochen ins Leben gerufen wird. Ich begrüße in dieser Hinsicht die gestern mit Großbritannien erfolgte Einigung. Dieses solidarische Vorgehen trägt in sich eine neue Vorstellung von der internationalen Zusammenarbeit und von den Beziehungen zwischen Nord und Süd.

Mit diesen Beiträgen werden wir die Basis der Solidarität ausdehnen und einen Teil des neuen Reichtums, der durch die Globalisierung entstanden ist, zur Verfügung stellen, der heute weitestgehend dem Steuersystem der Länder entgeht. Wir werden die neuesten Techniken der modernen Wirtschaft für die Ärmsten mobilisieren. Das Nord-Süd Gefälle werden wir zu Gunsten eines solidarischen Denkens und umfassender Verantwortung überwinden. Dafür setzen sich Frankreich und die etwa einhundert anderen Länder, die heute anwesend sind, bei der Konferenz über die neuen Finanzierungsquellen für die Entwicklung ein. (...)

Diese Bewegung müssen wir unumkehrbar machen. Der Zeitpunkt ist gekommen, da wir eine neue Etappe beginnen und bei der Umsetzung konkreter Projekte Fortschritte machen.

Deswegen hat Frankreich beschlossen, versuchsweise, sozusagen als ersten Schritt, eine Solidaritätsabgabe auf Flugtickets einzuführen. Als leicht umsetzbarer und in wirtschaftlicher Hinsicht neutraler Mechanismus wird diese Abgabe Frankreich ab 1. Juli 2006 200 Millionen Euro jährlich einbringen.

Ich begrüße alle Länder, die beschlossen haben, sich an dieser Initiative zu beteiligen – ich darf bemerken, dass es hauptsächlich Länder des Südens sind – und die nun selbst über deren Umsetzung nachdenken. Ich rufe alle heute in Paris vertretenen Nationen – an erster Stelle die Länder der OECD und der Europäischen Union – dazu auf, sie bei diesem zukunftsträchtigen Vorgehen zu begleiten. So werden wir schnell die für die Umsetzung der Millenniumsziele unerlässlichen Beträge aufbringen können.

Gemeinsam müssen wir auch an der sinnvollen Nutzung dieser zusätzlichen Mittel arbeiten. (...)

Deshalb schlage ich vor, den Ertrag der Solidaritätsabgabe auf Flugtickets in eine „Internationale Fazilität zum Kauf von Medikamenten" gegen die Pandemien Aids, Tuberkulose und Malaria, welche in den Entwicklungsländern grassieren, einzuzahlen. (...)

Dank der internationalen Diskussion über geistiges Eigentum, der Konkurrenz durch Generika und der Politik der differenzierten Preise von Laboren, die im Besitz der Patente sind, konnten die Kosten für bestimmte antiretrovirale Medikamente auf ein Hundertstel reduziert werden. Wir können diesen Erfolg im Rahmen einer langfristigen Zusammenarbeit zwischen Industrie und Völkergemeinschaft konsolidieren, die auf stabilen Finanzierungen beruht. Damit können wir zwei große Probleme gleichzeitig lösen:

einerseits die Medikamentenkosten, die, obwohl sie nur ein Bruchteil der im Norden üblichen Preise ausmachen, trotzdem für Menschen untragbar bleiben, die mit einem Euro pro Tag ums Überleben kämpfen und keine Sozialversicherung haben,

andererseits das Fehlen eines zahlungsfähigen Medikamentenmarktes gegen Pandemien, welche die ärmsten Länder betreffen. Dieses Fehlen führt heute zu einem eindeutigen Mangel an Forschungs- und Produktionskapazitäten.

Um wirksam sein zu können, muss dieses Projekt Teil einer umfassenderen Strategie zur Stärkung der Gesundheitssysteme werden. Deswegen werde ich beim Treffen der G8 in Sankt Petersburg einen Vorschlag machen, wie die Einrichtung von Krankenversicherungssystemen beschleunigt werden kann, die den wirtschaftlichen und sozialen Gegebenheiten der ärmsten Länder entsprechen.

Meine Damen und Herren,

wir haben seit zwei Jahren eine weite Strecke zurückgelegt. Dennoch sind wir erst am Anfang eines langen Weges und die Zeit drängt! Die Solidaritätsabgaben, über die wir heute sprechen, sollen als Beispiel und als Experiment dienen, aber sie sind auch eine erste Erfahrung. Wir müssen viel schneller und weiter gehen, denn mit jedem Jahr sterben Millionen und jeder Fortschritt, den wir machen, bedeutet einen Schritt hin zu einem würdigeren Leben, neue Chancen für den Frieden, für die Stabilität der Welt, Siege der Hoffnung.

Diese Verantwortung haben wir heute. Ich danke Ihnen, dass Sie der Einladung Frankreichs gefolgt sind. Ich danke Ihnen für Ihren Einsatz für diese gerechte Sache, für Ihre Großzügigkeit und für die Unterstützung durch Ihre Länder.





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