Pressebegegnung mit Präsident Jacques Chirac und Bundeskanzler Gerhard Schröder

Pressebegegnung mit Präsident Jacques Chirac und Bundeskanzler Gerhard Schröder


Palais de l'Elysée - Paris 26. April 2005

P CHIRAC: Es ist mir eine besondere Freude, meinen Freund, den Herrn Bundeskanzler Gerhard Schröder, in Paris empfangen zu können, dessen Mut und Entschlossenheit große Achtung in Frankreich hervorruft und große Wertschätzung schafft.

Dieser Rat hat einmal mehr die beachtenswerte Qualität der Zusammenarbeit zwischen unseren beiden Ländern unterstrichen - einer Zusammenarbeit, eingebettet in eine Freundschaft ohne Risse, in der die verschiedenen Mitglieder der Regierungen Deutschlands und Frankreichs eng zusammenarbeiten. Dies ist sicherlich ein dynamischer Beitrag zur Europäischen Integration.

Die Entscheidungen des Europäischen Rates vom März dieses Jahres in Brüssel legen im Übrigen ein beredtes Zeugnis von dieser Einheit zwischen Deutschland und Frankreich ab, die keine Risse aufzeigt. Wir haben das anlässlich dessen gesehen, was beim Stabilitäts- und Wachstumspakt passiert ist. Wir haben das auch gesehen bei der Debatte über die Erarbeitung der Lissabon-Strategie und deren Weiterentwicklung.

Wir haben dies auch bei dem Vorschlag über die Dienstleistungsrichtlinie festgestellt. Dort haben Deutschland und Frankreich ohne jede Nuance eine gemeinsame Strategie gewählt, um die verschiedenen Entwicklungen zu begleiten. Es handelt sich hier um eine Entwicklung, die im Dienste eines gemeinsamen Bestrebens für Europa steht - einem Europa, das sich dafür einsetzt, mehr Wachstum und dementsprechend auch mehr Arbeitsplätze zu schaffen, und zwar über die Reformen, die ich gerade angesprochen habe.

Es handelt sich um ein Europa, das hauptsächlich den Blick auf die Aufgaben der Zukunft richtet, insbesondere was Forschung und Innovation anbelangt, und das sich wirklich dazu bekennt, sein Sozialmodell zu entwickeln und anzuwenden. Gewisse andere Modelle erfordern ständig, dass wir das Soziale in unseren Institutionen verteidigen.

Die Arbeiten unseres Rates gehören zu dem, was wir auch in der Vergangenheit schon getan haben und zu diesem Geist, den ich gerade vorgetragen habe. Unsere Freunde und Partner in Europa müssen dank Forschung und Innovation ihre Kräfte bündeln und die Herausforderungen angehen, die die Globalisierung für uns alle stellt.

Deutschland und Frankreich sind die beiden wichtigsten Industrienationen Europas und in der Welt. So wie sie sich heute darstellen, kann es keine Wachstumspolitik geben, (wenn) die Industrie (nicht) einen großen Beitrag leistet (und wenn) wir uns (nicht) Bemühungen im Hinblick auf Innovation und Forschung unterwerfen.

Deshalb haben wir beschlossen, gemeinsam wichtige deutsch-französische Programme in Gang zu bringen, die auf gemeinsamer Basis ausgearbeitet und finanziert werden. Diese Programme sind von der Industrie selbst vorgeschlagen worden im Rahmen einer Arbeitsgruppe, die wir gebildet haben. Sie stand unter dem Vorsitz von Herrn Cromme und Herrn Beffa, denen ich bei dieser Gelegenheit unseren herzlichen Dank für die geleistete Arbeit aussprechen möchte.

Dies sind sehr ambitiöse Programme, die alle Bereiche der Spitzentechnologie betreffen. Es sind Bereiche, in denen das Potenzial für Wachstum und Entwicklung in der Welt am größten ist, so wie sie sich heute darstellt. Diese deutschen und französischen Arbeitsgruppe zur Innovation wird natürlich ihre Arbeiten fortführen und neue Vorschläge unterbreiten. Denn wir sind erst am Anfang, um uns in diese Richtung zu bewegen, die wir beschlossen haben.

Wir haben im Übrigen eine gewisse Anzahl von konkreten Maßnahmen zur Stärkung der Mobilität der Männer und Frauen in unseren beiden Ländern beschlossen. Dies betrifft insbesondere den freien Zugang von Studenten, Forschern und Jungen in der Ausbildung. Wir wollen diese Osmose erleichtern und insbesondere die Barriere und die Schwierigkeiten überwinden, die die Sprachenunterschiede so mit sich bringen.

Zum Abschluss möchte ich noch - niemanden wird das erstaunen - daran erinnern, dass in den nächsten Monaten jedes Land im Rahmen seiner verfassungsmäßigen Eigenschaften, (also auch) Frankreich und Deutschland, über die Ratifizierung der europäischen Verfassung abstimmen wird. Unsere beiden Länder haben gemeinsam diese Verfassung gewollt. Sie haben im großen Maß Beiträge dazu geleistet. Sie entspricht unserer gemeinsamen Berufung dessen, was wir wollen - ein friedliches, demokratisches und solidarisches Europa.

Dieser Vertrag wird - Herr Bundeskanzler gestatten mir, dies hier so zu sagen - insbesondere für Frankreich die Möglichkeit eröffnen, stärker in Europa zu sein. Er wird es aber auch Europa ermöglichen, in der Welt stärker aufzutreten.

Ja zu dieser Verfassung, zu diesem Verfassungsvertrag zu sagen, heißt zunächst einmal Ja zu einem Europa zu sagen, das seit 1789 die traditionellen Werte aufgreift, nämlich die Werte, die auch die Werte Frankreichs sind.

Sie sind festgelegt auf der Ebene der gesamten Union - Werte, Menschenrechte, Wirtschafts- und Sozialrechte, Umweltrechte. Es geht dabei auch um die Anerkennung der wichtigen Rolle der öffentlichen Hand, die Achtung der kulturellen Diversität, die Gleichheit zwischen Männern und Frauen. Kurz gesagt: Die alten Prinzipien, die immer im Zentrum dessen standen, was Frankreich im humanistischen Bereich wollte, (gelten in) einem Europa, in dem ganz klar und zum ersten Mal festgelegt wird, wer was in Europa macht.

Diese Verfassung ist das, was wir immer wollten. Wir wollten keine Vereinigten Staaten von Europa und keine Art Förderation, die ja mit sich führen würde, dass die Völker, die Nationen und Kulturen langsam verschwinden. Wir wollten ein vereintes Europa der Staaten und der Völker erzielen. Das heißt ein Europa, in dem (die Länder) all das (auf Europa delegieren), was effizienter auf europäischer Ebene geregelt werden kann und das gleichzeitig die Persönlichkeit einer jeden Nation, eines Volkes berücksichtigt und aufrecht erhält.

Schließlich handelt es sich um ein Europa, das die europäische Integration (unterstützt und) ein gewisses Gleichgewicht schafft, insbesondere indem es noch stärker den Schwerpunkt auf wirtschaftliche Bereiche und den sozialen Bereich setzt.

Vielleicht ist hier nicht genügend unterstrichen worden, welch hervorragende außergewöhnliche Reform in Europa dahingehend geschaffen worden ist, dass dieser Vertrag jetzt bekräftigt, was bisher nicht der Fall war, dass jede Politik immer dem sozialen Aspekt Rechnung tragen muss. Mit sozialen Aspekt meine ich das, was ich eben erwähnt habe.

Ja zu sagen heißt auch gleichzeitig die Anzahl der Stimmen zu erhöhen, über die Frankreich im Rat verfügt und somit also seine Macht zu erhöhen. Das ermöglicht es (Frankreich), von 18 % auf 30 % der Stimmen zu kommen. (Deutschland und Frankreich) erreichen damit ungefähr 50 % der Stimmen im Rat. Damit wird der natürlich legitime demographische Einfluss unserer beiden Ländern in Europa zum Ausdruck gebracht - im Übrigen auch der Gründerstaaten, die (die) längste Erfahrung im Bereich der europäischen Integration (haben).

Ja zu sagen heißt auch, Europa die Möglichkeit zu geben, ein größeres Gewicht in der Welt zu spielen, um damit natürlich seine Interessen zu verteidigen, aber auch seine Werte. Das ist wichtig, wenn man existieren möchte. Es ist keine Selbstverständlichkeit in einer Welt, wie sie sich entwickelt, in der große internationale Pole immer stärker (werden) wie China, Indien, Brasilien, Lateinamerika, Russland und natürlich die Vereinigten Staaten von Amerika.

Aber das bedeutet auch unsere Fähigkeit zu stärken, solidarisch bei den Bewährungsproben zu sein, (und zwar) durch eine europäische Verteidigungspolitik, aber auch durch die Maßnahmen, die im Vertrag vorgesehen sind und die bekräftigen, dass die Solidarität der europäischen Länder gegeben ist, sollten sie von außen angegriffen werden, insbesondere beim Kampf gegen den Terrorismus, der leider eine Last ist, die wir nicht ausschließen dürfen. Also das heißt auch, uns besser gegen jedwede Bedrohung zu schützen.

Am 29. Mai geht es für Frankreich - denn das Problem stellt sich nicht genauso für Deutschland wie für Frankreich - um die Wahl. Wenn wir mit Nein abstimmen, übernehmen wir die Verantwortung dafür, dass hier 50 Jahre europäischer Integration unterbrochen werden - 50 Jahre eines Weges in Richtung Frieden und Demokratie, einstimmig geachtet, gewährt auf unseren gesamten Kontinent.

Dann müssen wir es bei der augenblicklichen Situation belassen, von der jeder natürlich sagen muss, dass sie nicht zufrieden stellend ist. Man sollte sich auch nicht täuschen. Dann überlassen wir den Anhängern einer ultraliberalen Politik in Europa das Feld. Wenn wir mit Nein abstimmen, dann müssen wir auch die Verantwortung übernehmen, Frankreich zu schwächen, und dies ist von größter Wichtigkeit. Seine Fähigkeit, seine Werte und Interessen in Europa zu verteidigen, wird damit geschwächt und damit auch in der Welt von morgen.

Im Gegenzug heißt für die Verfassung zu stimmen, mit Ja zu stimmen, Frankreich zu stärken, die Franzosen und die Französinnen zu verteidigen, also dem nachzukommen, was unser Land im Innern wie im Äußern anstrebt. Mit Ja stimmen heißt auch Europa stärken. Es heißt, sich für ein Europa zu entscheiden, das sozial ausgerichtet ist, das unabhängiger ist - ein Europa, in dem das Gewicht Frankreichs erheblich gestärkt wird.

Deutschland und Frankreich waren von Anfang an der Motor der europäischen Integration. Unsere beiden Länder haben Hand in Hand die verschiedenen Etappen der europäischen Integration gemeinsam durchschritten. Ich brauche Ihnen hier nicht zu sagen, wie sehr mein Wunsch ist, dass wir dieser Tradition auch in Zukunft treu bleiben.

BK SCHRÖDER: Ich bin Ihnen, verehrter Herr Präsident, lieber Freund, in doppelter Hinsicht sehr dankbar - einmal deshalb, weil Sie mir persönlich eine hohe Ehre angetan haben, die ich gern zurückgeben möchte. Sie sind in Deutschland als jemand bekannt und verehrt, der sich zeitlebens für die Deutsche Einheit eingesetzt hat, der sich immer für die tiefe Freundschaft zwischen Frankreich und Deutschland eingesetzt hat und der beides stets nutzen wollte, um die europäische Einheit voran zu bringen.

Zum Zweiten bin ich Ihnen sehr dankbar für die eindrucksvolle Weise, in der Sie dargestellt haben, worum es in den nächsten Wochen und Monaten in Europa geht, nämlich schon um eine historische Dimension.

Es ist ja richtig: Die Idee eines vereinten Europa ist in Frankreich als Antwort auf die Schrecklichkeiten des Faschismus, zumal in Deutschland, aber auch auf die Schrecklichkeiten eines blutigen Krieges entstanden. Die Hoffnung, die die Völker Europas haben, ist doch wohl zu Recht, dass das Ursprungsland dieser Idee den Traditionslinien - also dem, was diese Idee bedeutet - auch folgt.

Sie haben, verehrter Herr Präsident, lieber Freund, völlig richtig dargestellt, worum es inhaltlich eigentlich geht. In den ganzen Debatten, die über Institutionen und Institutionengefüge geführt werden, geht doch manchmal verloren, was dieses Europa wirklich ist und was es durch das Wiederfinden seiner Einheit sein kann und sein wird - im Westen, im Süden, im Norden, aber eben auch im Osten und in der Perspektive im Südosten -, nämlich ein Ort dauerhaften Friedens und damit dauerhaften Wohlergehens seiner Menschen.

Ich denke, dass völlig zu Recht betont worden ist, dass wir diese einmalige historische Chance nutzen müssen, wenn wir uns nicht Vorwürfen ausgesetzt sein wollen, die uns unsere Kinder und deren Kinder mit Sicherheit machten, wenn wir diese historische Chance, diese großartige Möglichkeit, verstreichen ließen.

Natürlich ist es so, dass Frankreich und Deutschland eine ganz besondere Verantwortung für das Gelingen dieses Prozesses haben. Wenn wir das sagen, dass wir diese Verantwortung haben, dann ergibt sich das aus der Historie, aus der Gemeinsamkeit für Europa, die Frankreich und Deutschland immer entwickelt und beachtet haben, aber natürlich auch aus der wirtschaftlichen Stärke und Größe beider Länder. Das schafft eine besondere Verantwortung.

Das muss jeden dazu bringen, sich selbst klar zu machen, dass vieles in Frage gestellt werden würde, wenn der Ratifizierungsprozess in Deutschland - wir können das parlamentarisch machen; wir müssen es parlamentarisch machen; so sieht es unsere Verfassung vor - als auch in Frankreich nicht gelingen würde. Träte das ein, dann würde Europa und damit auch die Mitgliedstaaten in der Europäischen Union nicht gestärkt, sondern geschwächt.

Es würde eintreten, worauf der eine oder andere außerhalb Europas spekulieren mag, dass nämlich in der internationalen Politik, aber auch auf ökonomischen Gebiet, die Kraft der Europäer nicht stärker, sondern geringer würde, dass das Wort der Europäer in allen internationalen Fragen nicht stärker, sondern schwächer und weniger gehört würde.

All das ist mit der Abstimmung über diesen Verfassungsprozess verbunden. Das muss man berücksichtigen, wenn man meint, man könnte in der Phase, in der es um eine großartige Idee und deren Weiterverfolgung geht, vielleicht aus der einen oder anderen Verärgerung (heraus) abstimmen. Das darf man in solchen historischen Fragen - so sehe ich es jedenfalls - nicht tun. Ich bin ganz guten Mutes, dass diese Auffassung sich in Europa - zumal in Frankreich und in Deutschland - durchsetzen wird.

Es geht auch um die ungestörte Gemeinsamkeit, die auf solchen Treffen wie heute, auf gemeinsamen Ministerräten, deutlich wird. Es geht um die ungestörte Möglichkeit, Europa und damit unsere beiden Länder in dieser Gemeinsamkeit voranzubringen. Es geht für mich - lassen Sie mich das ganz klar sagen - nicht nur darum, dass unser Verstand und die historische Erfahrung, die wir selbst und die, die vor uns waren, gemacht haben, uns verpflichtet, diese enge Zusammenarbeit in und für Europa ungestört weiter zu führen, sondern ich möchte Ihnen sehr freimütig gestehen, was ich auch in der Sitzung gesagt habe:

Für mich ist das nicht nur eine Sache des Verstandes. Es ist längst eine Sache des Herzens geworden. Weil das so ist, hoffe ich auf diese Gemeinsamkeit zwischen Frankreich und Deutschland. Ich hoffe auf ein Ja zur europäischen Verfassung und damit auf ein Ja zur ungestörten Weiterführung unserer sehr, sehr erfolgreichen Zusammenarbeit und auf ein Ja zur Stärkung beider Länder in einem einigen Europa.

FRAGE: Herr Präsident, Herr Bundeskanzler, haben Sie auch darüber gesprochen, was passiert, falls sich die Franzosen wider Ihr Erwarten gegen die Verfassung entscheiden werden? Und werden deutsche Politiker in den nächsten 4 ½ Wochen hier in Frankreich in die Kampagne eingreifen?

P CHIRAC: Wenn das Nein in Frankreich siegen würde, dann wäre ganz klar, dass das Verfahren der Ratifizierung in anderen Ländern fortgeführt würde. Ein jedes der 25 Länder - (also auch) diejenigen, die noch nicht abgestimmt haben -, sieht ein Ratifizierungsprozess vor, der seinen verfassungsmäßigen Eigenschaften entspricht; sei es Referendum oder Abstimmung in den Parlamenten. Dieses Verfahren würde dann natürlich bis zum Abschluss fortgeführt werden. Frankreich würde dann natürlich an den Rand gedrängt und Zuschauer sein, wenn der Zug vorbei fährt, was natürlich nie gut für jemanden ist.

Wenn Sie fragen, ob deutsche oder europäische Politiker am französischen Wahlkampf teilnehmen, kann ich Ihnen nur sagen: Dies ist ein Problem, das weder in den Entscheidungsbereich der Regierung oder des Staatspräsidenten (fällt), sondern darüber müssen die politischen Parteien entscheiden. Ich glaube schon, dass es legitim wäre, da es ja um Europa geht und wir uns in diesem organisierten Europa befinden, wenn ein solcher Austausch stattfinden könnte. Aber das müssen die politischen Parteien verantworten.

BK SCHRÖDER: Was der Präsident zu der Frage gesagt hat, wie es weiter ginge, wenn das einträte, was wir alle nicht wollen können, kann ich ohne jeden Abstrich unterschreiben. Es würde der Ratifikationsprozess in den übrigen Ländern selbstverständlich weitergehen, weitergehen müssen - mit allen Folgen, die der Präsident eben genannt hat. Es gibt dort eine nahtlose Übereinstimmung zwischen Frankreich und Deutschland. So weit ich das übersehen kann, ist das auch die allgemeine Auffassung in der Europäischen Union.

Was die Frage angeht, ob deutsche Politiker sich beteiligen: Das hat es schon gegeben. Mein Außenminister hat zusammen mit dem französischen Außenminister eine, wie wir heute feststellen konnten, sehr schöne und sehr erfolgreiche Veranstaltung gemacht. Ich weiß im Moment nicht, ob Weitere geplant sind, stimme aber zu, dass das Sache der gesellschaftlichen Gruppen, der Parteien ist, die solche Veranstaltungen ins Auge fassen. Schön wäre es, wenn möglichst viel auf diesem Sektor passierte.

FRAGE: Herr Staatspräsident, Herr Bundeskanzler, die Anhänger des Nein in Frankreich haben einige Wochen lang die Bolkestein-Direktive ins Feld geführt. Es gibt auch das Problem der chinesischen Textilien und Textilindustrie. Dieses Problem wird sicher auch von denjenigen genutzt werden, die für das Nein streiten. Welche Antworten haben Sie darauf? Das heißt, welche Fähigkeit hat dieses Europa, schnell auf das Problem mit der Textilindustrie in China zu antworten?

P CHIRAC: Ich möchte als Erster antworten - ganz einfach, weil Frankreich viel mehr von diesem Problem betroffen ist als Deutschland, dessen industrielle Entwicklung dahin geführt hat, dass Deutschland nicht direkt von diesem Problem betroffen ist.

Im Gegenzug haben wir in Frankreich noch eine sehr bedeutende Textilindustrie, die im Übrigen in den letzten Jahren sehr große Bemühungen unternommen hat, um sich zu modernisieren und sich der Entwicklung anzupassen, um besser zu verstehen, wie sich die Märkte entwickeln.

Eine gewisse Anzahl von Ländern, die sehr eng traditionell und auch wirtschaftlich und politisch mit Frankreich verbunden sind, insbesondere im Mittelmeerraum, sind einfach von diesem Phänomen und diesen Exporten traumatisiert. Denn diese Exporte gefährden ernsthaft die eigene Fähigkeit dieser Entwicklungsländer, so zu exportieren, wie sie es traditionsweise durch den Export nach Europa und insbesondere nach Frankreich machen. Es ist also ein echtes Problem.

Dieses Problem liegt darin begründet, dass wir es sicherlich nicht hinnehmen können, dass diese Textilien, um die es hier geht, die in der jüngsten Vergangenheit sehr stark im Preis gesunken sind, jetzt - ohne hier Regeln einzuhalten - unsere Märkte überschwemmen, und zwar mit den Folgen, die ich gerade beschrieben habe.

Daher rührt die Tatsache, dass (einige) europäische Länder, unter denen sich auch Frankreich befindet, die Kommission gebeten haben, Maßnahmen zu ergreifen und gemäß den Regeln der WTO Verfahren einzuleiten, die es ermöglichen, die Schutzklauseln einzusetzen. Die Kommission hat eine Antwort gegeben; sie hat diese Verfahren eingeleitet. Die französische Regierung und andere bekräftigen diese Bitte gemäß dessen, was die Kommission gefordert hat.

Ich hoffe, dass wir die Mittel haben werden, dieses Phänomen in den Griff zu bekommen, damit dies keine massiven Konsequenzen für die Beschäftigung in Frankreich hat, und zwar in einem Industriezweig, der allen zu Ehren gereicht und der auch zukunftsträchtig ist.

Es heißt natürlich, dass wir stärker sind, wenn wir Europäer gemeinsam vorangehen, um diese Industrie zu verteidigen. Selbst wenn sie (für viele) nicht so interessant (sein mag, erreichen wir als Europäer mehr), als wenn wir getrennt vorgehen müssen. Dies ist ein zusätzliches Zeugnis, das wir dafür ablegen, dass wir vereint vorgehen, um den wirtschaftlichen Entwicklungen in der Welt und der Globalisierung begegnen zu können.

Ich danke im Übrigen unseren deutschen Freunden, die - obwohl sie nicht direkt betroffen sind - uns jede notwendige Unterstützung in dieser Angelegenheit haben zukommen lassen.

BK SCHRÖDER: Ich will nur noch zu dem etwas hinzufügen, was der Präsident gesagt hat, weil Sie ja in Ihrer Frage meinten, die Gegner der Verfassung würden derartige Probleme sozusagen zur Begründung eines Nein benutzen.

Dem gegenüber würde ich sagen: Das darf man auf keinen Fall tun. Diese Probleme sind Probleme, die unabhängig von der großen und großartigen Idee eines vereinten Europa existieren und die sich nicht mit einem Nein zur Verfassung lösen lassen. Im Gegenteil: Sie müssen, so wie der Präsident das erläutert hat, auf der Basis einer gemeinsamen europäischen Position gelöst werden.

Es ist genau umgekehrt. Wäre ein Land, das so betroffen ist, allein, dann hätte es weniger Möglichkeiten, sich zu wehren, als die Europäer das insgesamt können. Deswegen muss man denen, die ein Nein so begründen wollen, sagen: Das widerspricht der eigenen Logik. - Im Übrigen sind solche Probleme dazu da, um gelöst zu werden. Der Präsident hat einen Weg beschrieben, bei dem wir ihn unterstützen.

Die zweite Bemerkung, die Sie gemacht haben, betrifft die Dienstleistungsrichtlinie. Da sind Frankreich und Deutschland völlig einer Meinung, dass das, was der ehemalige Kommissar Bolkestein - nun soll man ihm auch nicht zu viel Ehre antun; er ist ja nun gar nicht mehr Kommissar - da vorgeschlagen hat, so nicht Gesetz werden wird. Wir sind miteinander einig darin, und die Kommission hat es inzwischen auch erklärt.

Der eigentliche Punkt besteht doch darin, dass man dem Irrtum erliegt zu glauben, dass ein gemeinsamer Markt von Gütern dasselbe wäre wie ein gemeinsamer Markt von Dienstleistungen. Aber Güter, wie intelligent sie auch immer hergestellt sind, sind Gegenstände. Bei Dienstleistungen geht es um Menschen.

Diese Differenzierung, die darin liegt, dass Güter etwas anderes sind als Leistungen, die Menschen konkret erbringen, und zwar an dem Ort, wo die Leistung abgefordert ist, werden wir durchsetzen. Das heißt, dass man nicht einfach sagen kann, das eine oder das andere Prinzip gilt, sondern die Dienstleistungen, die erbracht werden, müssen zu den Mindestbedingungen erbracht werden, die in dem Land gelten, in dem sie erbracht werden.

Das ist die gemeinsame Position von Frankreich und Deutschland, dass wir uns auf dieser Grundlage miteinander gegen jede Form von Lohndumping und Unterlaufen von Arbeitsschutzbestimmungen, die ja Menschen schützen sollen, wehren werden. Das wird auch seinen Ausdruck in einer Richtlinie finden, wenn es sie denn gibt.

P CHIRAC: Ich möchte dem, was der Herr Bundeskanzler gesagt hat, noch etwas hinzufügen - denn die Frage ging auch an mich -, was die so genannte Bolkestein-Richtlinie anbelangt:

Diese Richtlinie gab es einmal. In Frankreich hat es zu dieser Richtlinie eine Kampagne gegeben, die polemischer als wirtschaftlich und sozial ausgerichtet war. Natürlich war sie für uns nicht akzeptabel. Sie ist auch nicht durchgegangen. Deutschland und Frankreich und einige andere Länder haben dies noch einmal ganz klar gesagt und bekräftigt. Es gibt diese Richtlinie nicht mehr.

Im Gegenzug bleibt das Problem immer noch: Was machen wir denn nun bei den Dienstleistungen? Demnächst wird es eine deutsch-französische Initiative auf der Basis dessen geben, was der Bundeskanzler gerade angeführt hat. Es handelt sich um eine Initiative, die Gegenstände und Waren mit Menschen, d. h. Dienstleistungen, verwechselt und die so ausgerichtet ist, dass alles mit im sozialen Bereich nach oben gezogen werden kann und nicht noch weiter versinkt und das Prinzip des Ursprungslands nicht angewandt wird.

Mit dem Herrn Bundeskanzler sind wir voll und ganz einverstanden so vorzugehen. Die Tatsache, dass dies jetzt wieder auf den Tisch kommt und neu verhandelt wird, ist offiziell. Deutschland, Frankreich und andere werden gemeinsam mit uns konkrete und positive Vorschläge, was den Dienstleistungsbereich anbelangt, vorlegen.

FRAGE: Herr Bundeskanzler, Herr Staatspräsident, wenn Frankreich mit Nein abstimmt, ist es so, dass die industriellen Projekte, die Sie heute vorgestellt haben, die bilateralen Charakters sind, damit gewissermaßen in Frage gestellt werden? Oder ist die Solidarität und die Festigkeit der deutsch-französischen Beziehungen so, dass sich nichts ändern wird? Würde Deutschland in diesem Fall dazu neigen, sich anderen Partnern zuzuwenden?

BK SCHRÖDER: Das ist ja eine ganz interessante Frage, um etwas zu begründen, was Ihnen möglicherweise emotional nahe ist.

Aber wissen Sie: Das, was wir jetzt tun, ist eigentlich ganz falsch. Wir diskutieren - ich kenne die Debatte auch ein bisschen in Deutschland - die Frage, was denn werden würde, wenn etwas schief ginge. Ich diskutiere das überhaupt nicht. Ich verwende meine Kraft darauf dafür zu sorgen, dass das richtig läuft, dass ein Ja in Deutschland und in Frankreich dabei herauskommt.

Wenn wir uns jetzt die ganze Kampagne über mit der Frage beschäftigten, die Sie - ich kann das als journalistische Neugier verstehen - gestellt haben, dann würden wir eine völlig falsche Kampagne machen. Es geht darum, Begründungen für ein Ja zu finden und sie den Menschen nahe zu bringen. Das haben wir heute versucht. Es geht doch überhaupt nicht darum, sich in einer laufenden Ja-Kampagne Gedanken darüber zu machen, was denn wäre, wenn es anders ausginge, als wir wollen. - Insofern muss ich Ihnen die Antwort aus Verantwortung für ein Ja schuldig bleiben.

Aber eines will ich Ihnen auch sagen: Die Freundschaft und die Tiefe der Zusammenarbeit zwischen Frankreich und Deutschland ist nicht mehr auflösbar

FRAGE: Herr Präsident, Herr Bundeskanzler, Deutschland und Frankreich sind ja nicht nur in Freud vereint, sondern im Moment auch im Leid, wenn man an die wirtschaftlichen Entwicklungen denkt. Die Wirtschaftsweisen in Deutschland haben heute die Wachstumsprognosen fast halbiert. Die Bundesregierung wird da am Freitag möglicherweise nachziehen müssen. Die Maastricht-Kriterien werden von beiden Ländern 2005 wahrscheinlich wieder einmal nicht erfüllt. Da sind Sie also im Leid vereint. Sagen Sie beide "Augen zu und durch", oder haben Sie sich heute auch überlegt, was man da anders machen könnte, um mit gutem Beispiel voran zu gehen?

BK SCHRÖDER: Erstens teile ich Ihre Annahmen nicht. Darin waren gleich mehrere Fehler. Das muss ich Ihnen jetzt sagen, freundschaftlich natürlich. Es waren nicht die Wirtschaftsweisen, sondern Wirtschaftsinstitute haben heute ihre neuen Wachstumswahlen deutlich werden lassen. Sie sind nicht so schön, wie ich sie mir gedacht habe.

Ich habe übrigens gestern mit einem - ich sage jetzt nicht mit welchem - der Chefs dieser Institute gesprochen und habe gefragt: Sagen Sie mir einmal, woher wissen Sie eigentlich auf den Zehntelpunkt genau, wie sich die wirtschaftliche Entwicklung in diesem Jahr abbilden wird? - (Er sagte mir): Das weiß ich auch nicht so genau. Ich hätte auch viel lieber, dass ich Bandbreiten angeben könnte, in denen sich, wenn sich bestimmte Rahmendaten verändern, die wirtschaftliche Entwicklung vollzieht.

Ich sage: Und warum tun Sie dann so, dass Sie es auf den Zehntelpunkt genau ausdrücken können? - Dann sagt er: Ja, weil das so üblich ist.

Das nur zur Wissenschaftlichkeit dieser Prognosen. Also, sie sind nicht gut, und das weiß ich. Es gibt Ursachen dafür, die auch angegeben worden sind - Ursachen, auf die man teilweise keine nationalen Antworten hat. Die Ursachen z. B., die es gibt, was den Ölpreis angeht, sind mit nationalen Antworten nicht mehr befriedigend zu geben.

Die Ursache, die in der Euro-Dollar-Relation liegt und die uns im Export Schwierigkeiten macht, entzieht sich nationalen Regelungen völlig. Das ist das, was man in der Sprache dieser Wissenschaftlicher "externe Schocks" nennt, und denen kommen Sie nicht mit nationalen Maßnahmen bei. Gleichwohl muss man damit umgehen.

Wo Sie mit nationalen Maßnahmen engagiert arbeiten können, ist die Frage der Reformen im Inneren. Und was mich und meine Regierung angeht, so wird uns von allen, die wohl meinend sind - das sind nicht alle -, bescheinigt, dass wir mit der "Agenda 2010" eine Menge auf den Weg gebracht haben, um diese Strukturprobleme, die es bei uns auch gibt, in den Griff zu bekommen. Ich habe am 17. März ein Paket von 20 Punkten vorgeschlagen, um noch einmal mehr Dynamik in diesen Prozess zu bringen, der mit der "Agenda 2010" begonnen worden ist.

Wir haben einen exakten Zeitplan vorgelegt, den wir bis zur Sommerpause abarbeiten werden, um stärkere Dynamik in den Wirtschaftsprozess zu bringen. Das wird in großen Teilen in Deutschland auch anerkannt. Das ist unsere Antwort darauf.

P CHIRAC: Hinzufügen möchte ich noch etwas zu dem, was der Herr Bundeskanzler gerade ausgeführt hat, und zwar an die Adresse des deutschen Journalisten:

Es gibt so eine Art Kultur des Pessimismus in unseren Ländern, die gepflegt wird. Sie erklärt sich sicherlich durch die Schwierigkeiten im sozialen wirtschaftlichen Bereich, mit denen es unsere Länder zu tun haben. Niemand will das hier verniedlichen. Aber wenn ich mir ein großes Land wie die USA anschaue, in der auch die Bevölkerung die gleichen, wenn nicht schlimmere Probleme hat - insbesondere was Armut, Ausgrenzung, wirtschaftliche Schwierigkeiten, Arbeitslosigkeit bei den Jugendlichen anbelangt -, so haben auch andere Schwierigkeiten, die genau so groß sind wie unsere. Wenn man sich das einmal vor Augen führt, dann stellt man fest, dass unsere amerikanischen Freunde nur über ihren Erfolg sprechen. Sie erwähnen nie die Schwierigkeiten, die sie haben.

In Europa - das liegt in der Kultur der Europäer begründet - sprechen wir gern spontan und hauptsächlich über die Schwierigkeiten und unsere Misserfolge. Wenn das nur ein Problem der europäischen Kultur wäre, dann wäre es vielleicht interessant. Dann könnte man tiefer gehende Studien durch Psychologen durchführen lassen. Aber dies hat natürlich auch Folgen, was das Verhalten anbelangt. Wenn man immer zum Pessimismus neigt und das Ganze kultiviert, dann kann man hier jetzt nicht schöpferisch tätig werden.

Dies ist eine Bemerkung, die ich einfach machen wollte. Ich stimme dem, was der Herr Bundeskanzler gesagt hat, voll und ganz zu. Wir sind, wie Sie es gesagt haben, nicht im Leid vereint. Wir sind vereint im Vertrauen, das wir teilen.

FRAGE: Herr Präsident, Herr Bundeskanzler, es ist die Resolution 1559 eingebracht worden, damit Syrien den Libanon verlässt und damit der Libanon Unabhängigkeit erreicht. Jetzt ist es so, dass nach 30 Jahren Syrien den Libanon verlassen wird. Was sagt der französische Staatspräsident, der eine große Rolle bei der Erarbeitung dieser Resolution besprochen, dazu? Sind Sie der Ansicht, dass die Resolution 1559 jetzt umgesetzt wird?

Herr Bundeskanzler, wie kommentieren Sie die Rückkehr der Demokratie in den Libanon? Ist das jetzt vollständig erreicht?

P CHIRAC: Heute ist sicherlich ein sehr wichtiger Tag für den Libanon, weil jetzt das Ende der militärischen Präsenz und der Sicherheitsdienste Syriens gekommen ist. Dies entspricht voll und ganz dem Geist der Resolution 1559 - unter der Voraussetzung natürlich, dass die Beobachter der Vereinten Nationen bestätigen können, dass dies auch wirklich Realität geworden ist. Aber ich glaube, dass dies der Fall ist.

Ausgehend davon ist es natürlich sehr wichtig, dass das, was jetzt folgen sollte, auch wirklich folgt, d. h. dass so schnell wie möglich Wahlen durchgeführt werden und es eine Regierung gibt. Es gibt ein Wahlgesetz, das verabschiedet werden muss, über das man sich einigen muss.

Ich glaube, alle Libanesen sind sich der Notwendigkeit bewusst, dass so schnell wie möglich ein Wahlmodus gefunden werden muss. Diese Wahlen müssen in den verfassungsmäßig gegebenen Zeiträumen (und) Fristen stattfinden. Dies ist ein sehr wichtiges Zeichen, das die internationale Gemeinschaft gesetzt sehen möchte, um weiter Vertrauen in den Libanon setzen zu können, der dieses Vertrauen braucht, um ab sofort seine wirtschaftliche Lage zu verbessern.

Es gibt einen wichtigen Punkt, dass diese Wahlen natürlich unter internationaler Kontrolle ablaufen müssen. Die Europäische Union hat in diesem Zusammenhang den libanesischen Behörden vorgeschlagen, die notwendigen Mittel vorzusehen, um als Beobachter bei diesen Wahlen präsent zu sein. Diese Wahlen müssen natürlich auch den Regeln des Gesetzes und der Demokratie entsprechen.

Zum Abschluss - das wissen Sie - erfolgt der nächste Schritt, der zu Recht von den Vereinten Nationen verlangt wird, nämlich dass der internationale Untersuchungsausschuss seine Arbeit aufnehmen kann, um die Verantwortlichen an der Ermordung von Präsident Hariri aufzuklären. Natürlich ist es auch unser Wunsch, dass diese internationale Untersuchungskommission alle notwendigen Erleichterungen erhält, damit sie so schnell wie möglich ihren Bericht schreiben und vorlegen kann.

BK SCHRÖDER: In dem, was der Ministerpräsident eben zur Sache gesagt hat, gibt es eine vollständige Übereinstimmung zwischen Frankreich und Deutschland. Ich möchte Ihnen aber eines ausdrücklich bestätigen, was Sie als Feststellung in eine Frage gekleidet haben, was die Rolle des Präsidenten in diesem Prozess betrifft.

Sie kann in der Tat nicht hoch genug eingeschätzt werden. Bei vielen Beratungen innerhalb Europas und darüber hinaus war ich unmittelbar dabei und deswegen Zeitzeuge dafür, dass Präsident Chirac - sowohl was die Frage der Untersuchung angeht als auch, was die politischen Perspektiven und deren Durchsetzung angeht - mit seinem stetigen Drängen Bewegung in die Bereitschaft der internationalen Staatengemeinschaft gebracht hat, die Resolution 1559 wirklich umzusetzen.

Deswegen kann seine positive Rolle - ich weiß das aus eigener Erfahrung, weil ich halt dabei war - gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Das ist ein Meilenstein in dem Versuch - wir hoffen und erwarten, dass er glückt -, eine Demokratisierung des Libanon zu erreichen; mit möglicherweise auch weit reichenden Folgerungen. Das geht nicht zuletzt auf die Arbeit des Präsidenten zurück. Das kann überhaupt gar keine Frage sein.

FRAGE: Eine Frage noch zum Referendum: In Deutschland wie in Frankreich haben die Menschen Angst vor (dem Verlust ihrer) Arbeitsplätze. Die wirtschaftliche Lage ist nicht gut. Das hat mit dem Referendum nichts zu tun. Das ist klar.

Die Frage ist: In der Vergangenheit hatte man den Eindruck, dass Regierungen bei Erfolgen in der Wirtschaftspolitik gern die Verantwortung übernommen haben, bei Problemen - beispielsweise Haushaltskonsolidierung - wurde immer gern mit den Zwängen der Maastricht-Kriterien in Brüssel argumentiert. Hat die Tatsache, dass heute in Frankreich offensichtlich viele Menschen den Integrationsprozess in Frage stellen, indem sie ein Nein erwägen, nicht auch damit zu tun, dass man unangenehme Dinge oft mit Brüsseler Zwängen erklärt hat und die Erfolge nationalisiert hat?

BK SCHRÖDER: Also ich kann dieses Maß an Verfehlungen, das Sie da aufführen, nicht sehen. Ich glaube, dass diejenigen, die Verantwortung für Bewusstseinsbildung in der Gesellschaft haben, (das durchaus differenzieren). Das sind ja nicht nur diejenigen, die Sie als politische Klasse bezeichnen, sondern es sind neben Medien wie Sie, die Meinungen transportieren, die wirtschaftlichen und kulturellen Eliten eines Landes, die natürlich Einfluss auf diese Bewusstseinsbildung haben. Wenn da etwas falsch gelaufen ist, dann will ich die Verantwortung von Politik gar nicht minimieren.

Ich will aber darauf hinweisen, dass diejenigen, die ich eben angesprochen habe, in gleicher Weise Akteure sind, jedenfalls sein sollten. Dass wir die Erfolge europäischer Politik ausschließlich als Wasser auf unsere Mühlen lenkten und uns dort, wo es Rückschlage gegeben hat, in die Büsche schlügen, das kann man wirklich nicht sagen.

Es ist doch eher umgekehrt, dass die Erfolge als etwas ganz Normales von Ihnen dargestellt werden und die Rückschläge, wenn es sie dann gibt, doch sehr stark - das muss ja auch eine freie Presse tun - als Politikerversagen und ausschließlich als solches kritisiert wird. Insofern, glaube ich, ist die Voraussetzung, die in Ihrer Frage liegt, einfach nicht richtig. Ich kann sie jedenfalls nicht teilen.

FRAGE (auf Englisch): Wir haben gehört, dass es einen Riesenstreit in Asien gibt. Wie sehen Sie es aus Erfahrung, ob dieses Problem gelöst werden kann?

BK SCHRÖDER: Wenn ich Sie richtig verstanden habe - mein Englisch ist nicht so gut wie Ihres -, dann spielen Sie an auf die Auseinandersetzungen über die Geschichte, die es in Asien gibt. Ich will mich in diese Auseinandersetzungen in keiner Weise einmischen. Das darf ich auch nicht tun.
Ich will aber eine Erfahrung hier öffentlich sagen, die Deutschland gemacht hat: Eine mutige, sensible und auch selbstkritische Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte schafft Freunde, nicht Gegner. Das ist die Erfahrung, die wir gemacht haben. Das ist der einzige Kommentar, den ich dazu abgeben kann und will.

P CHIRAC: Ich teile voll und ganz die Meinung des Herrn Bundeskanzlers zu diesem Punkt. Vielen Dank.





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