Staatspraesident Jacques Chirac bei der gemeinsamen Pressekonferenz mit Bundeskanzler Gerhard Schroeder im anschluss an ihr informelles treffen - Auszuege -

Staatspraesident Jacques CHIRAC bei der gemeinsamen pressekonferenz mit Bundeskanzler Gerhard SCHROEDER im anschluss an ihr informelles treffen - auszuege -

Blomberg, 7. Maerz 2005


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Der Bundeskanzler hat gerade daran erinnert, dass in zwei Wochen der nächste Europäische Rat stattfindet. Anlässlich dieses Rates wollen wir uns für Wachstum und Beschäftigung einsetzen. In diesem Bereich möchten wir uns auch einigen, was die Lissabon-Strategie anbelangt, in die wirtschaftliche Forderungen, aber auch soziale und Umweltaspekte einfließen, deren Bedeutung, so glaube ich zumindest, noch stärker unterstrichen werden muss.

Wir wollen der Jugend in Europa alle nur möglichen Chancen bieten. Der Bundeskanzler und ich haben bekanntlich eine Initiative entworfen und darin festgestellt, dass eine gewisse Überalterung Europas stattfindet, gegen die man etwas tun muss, indem man in Zukunft demographisch substanzieller vorgeht. Wir haben festgestellt, dass die Belastungen durch diese Überalterung, die sich auf Grund der Solidarität gezwungenermaßen ergeben, der Jugend zum Nachteil gereichen. Wir möchten unsere Integrations- und Beschäftigungspolitik auch für die Jugend verstärken, um die materielle Situation der Jugendlichen in Zukunft zu verbessern.

Das ist Gegenstand eines europäischen Paktes für die Jugend, den wir erarbeitet haben, den am Anfang der spanische und der schwedische Premierminister, verabschiedet haben und anschließend der gesamte Rat. Die Kommission hat, glaube ich, die Absicht, diesen Pakt in die Reformen einzubeziehen, die beim nächsten Europäischen Rat für die gesamte Lissabon-Strategie vorgesehen sind.

Wir wollen schließlich auch unsere Industrie unterstützen und schlagen deshalb vor, dass die großen Programme zur industriellen und technologischen Innovation, ausgehend von den Überlegungen einer hochrangigen Gruppe deutscher und französischer Industrieller, neu aufgelegt werden.

Wir haben natürlich auch lange über die Reform des Wachstums- und Stabilitätspaktes gesprochen. Wir sind zuversichtlich, was die Arbeit der luxemburgischen Präsidentschaft anbelangt. Der Ratsvorsitzende wird morgen ein Gespräch mit dem Bundeskanzler führen. Es ist unerlässlich, die bisweilen zu strengen Regeln des Stabilitätspaktes zu verbessern, flexibler zu gestalten und an die Forderungen des wirtschaftlichen und sozialen Fortschritts anzupassen. Es ist ein Stabilitäts- und Wachstumspakt, um den es hierbei geht - dies wurde manchmal vergessen, und er soll dazu dienen, unsere Volkswirtschaften besser anzupassen. Was all dies anbelangt, sind wir zu gemeinsamen

Schlussfolgerungen gekommen und wir werden zu allen Themen des Ratstreffens gemeinsame dynamische Positionen haben.

Der Herr Bundeskanzler hat in Deutschland - dies ist international wirklich sehr positiv aufgenommen worden – eine sehr entschlossene und dynamische Politik zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, gegen die Verlagerung von

Industrieunternehmen und gegen die Ausgrenzung in Angriff genommen. In Frankreich haben wir uns die gleichen Ziele gesetzt und auch unsere Politik ist

kohärent, wobei natürlich jedes Land seine eigenen Eigenschaften hat.

Was die Außenpolitik anbelangt, hat der Bundeskanzler ausgeführt, dass wir eine starke, stabile und ausgeglichene Partnerschaft zwischen der Europäischen Union und Russland anstreben. Demnächst, am 18. März, wird in Paris im Sinne dieser geplanten Partnerschaft ein Treffen zwischen Präsident Putin, dem spanischen Ministerpräsidenten Zapatero und uns beiden stattfinden.

Zu den aktuellen internationalen Fragen haben wir genau dieselbe Meinung, sei es bezüglich der Konferenz von London, anlässlich derer wir zusammen mit der internationalen Gemeinschaft die palästinensische Autonomiebehörde unterstützt haben. Auch zu der Krise im Libanon haben wir dieselbe Meinung. Wir unterstützen, auch hier zusammen mit der internationalen Gemeinschaft die Umsetzung der Resolution 1559 und die internationalen Ermittlungen über die Umstände der Ermordung des ehemaligen libanesischen Premierministers. Wir

unterstützen auch nicht nur den Rückzug der Streitkräfte, sondern auch der gesamten Sicherheitsdienste Syriens, damit das libanesische Volk in Kürze demokratisch über sein Schicksal entscheiden kann.

Uns liegt auch sehr daran, gemeinsam mit unseren britischen Freunden Verhandlungen zu führen, um von Iran die notwendigen und objektiven Garantien zu erhalten, dass dieses Land sein Nuklearprogramm nur zu friedlichen Zwecken einsetzt. Unsere Meinungen stimmen voll und ganz überein, was die Probleme betrifft, die beim G8-Treffen in Gleneagles unter britscher Präsidentschaft angesprochen werden. Was die

Klimaveränderung anbelangt, so liegen wir auch hier auf der gleichen Linie, genauso wie bei der Finanzierung der Entwicklung.

Ich freue mich, dass ich den Bundeskanzler beim nächsten deutsch-französischen Ministerrat in Paris am 26. April empfangen darf.

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Zum Stabilitätspakt: Ich möchte nicht in die technischen Details einsteigen, was diese Frage anbelangt. Zunächst einmal sind wir der absolut gleichen Meinung und haben die gleiche Haltung zum Stabilitätspakt. Wir sind gegen einen Automatismus. Da es sich auch um einen Wachstumspakt handelt, müssen verschiedene Angaben berücksichtigt werden, bevor eine Entscheidung getroffen wird. Die Situation ist nicht die gleiche, wenn wir ein starkes Wachstum haben oder aber eine Stagnation eingetreten ist. Dies muss natürlich auch berücksichtigt werden. Jedes Land hat besondere Eigenschaften. Ich denke hier z. B. an die Bedeutung und die Kosten der Entwicklung der neuen Bundesländer für Deutschland. Das ist eine besondere Last, die auch mit in die Gesamtgleichung einfließen muss, wenn man will, dass sie wirtschaftlich gerechtfertigt ist, genauso wie die Bedeutung des deutschen Überschusses bei den Zahlungen für Europa.

So hat jeder seine Eigenschaften, die nicht genau gleich gewichtet werden können. Es gibt verschiedene Arten von Ausgaben. Es gibt Leute, die unheimlich viel Geld für laufende Kosten, für Betriebskosten, ausgeben. Andere gehen die Sache etwas seriöser an. Und es gibt Investitionskosten, die den Reichtum von morgen ermöglichen, z. B. für Investitionen in Forschung. Sollte man der Einfachheit halber den Betriebskosten die Priorität geben, oder muss man berücksichtigen, dass es Länder gibt, die besondere Anstrengungen für die Zukunft - Investitionen in die Forschung - unternehmen?

Es gibt auch Ausgaben, die für das Gemeinwohl Europas vorgesehen sind, z. B. Ausgaben für die Verteidigung oder die öffentlichen Gelder, die in die Entwicklung fließen, was für ganz Europa wichtig ist. Kann man der Ansicht sein, dass diejenigen, die in diesem Bereich hohe Ausgaben haben, schlechter als die anderen behandelt werden, die nicht den gleichen Beitrag für die Sicherheit Europas leisten? Es darf also keinen Automatismus geben. Es muss die Möglichkeit geben, das Ganze zu gewichten.

Das heißt, die Umsetzung eines solchen Paktes kann nicht rein technokratisch erfolgen. Sie muss politisch angegangen werden. Das heißt, es muss eine gewisse Anzahl von Tatsachen wirtschaftlicher und humaner Natur einfließen. Natürlich geht es überhaupt nicht darum, in irgendeiner Weise Nachlässigkeit zu akzeptieren. Wenn man eine gemeinsame Währung verteidigt, so muss man die Regeln auch akzeptieren und strikt umsetzen. Aber die Nachlässigkeit ist eine Sache und technokratische Sturheit eine andere. Es gilt also, den richtigen Weg zu finden, wenn man die Politik in diesem Bereich definieren möchte. Hier sind wir uns mit dem Bundeskanzler völlig einig.

Zu Libanon: Ich möchte mich nicht in die inneren Angelegenheiten Libanons einmischen. Ich stelle nur fest, dass die internationale Völkergemeinschaft einstimmig der Meinung ist, dass Libanon in Zukunft frei und demokratisch handeln können muss. Dies setzt natürlich auch den Rückzug der ausländischen Kräfte voraus, insbesondere der Sicherheitsdienste, ich spiele auf die syrischen Sicherheitsdienste an.

Auf dieser Basis kann sich – wie ich hoffe - die Demokratie normal entwickeln. Natürlich ist nicht auszuschließen - ich habe mit großer Aufmerksamkeit verfolgt, was Scheich Nasrallah gestern gesagt hat -, dass jeder seine Position kund tut. Ich habe keine Kritik an der Position der Hisbollah zu machen, vorausgesetzt, dass diese natürlich und demokratisch zum Ausdruck kommt, das heißt in einer friedlichen Art und Weise. Es darf keinen Anreiz zu Übergriffen bedeuten, die gegen die Demokratie gerichtet sind.

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Zum Austausch von Jugendlichen zwischen Deutschland und Frankreich: Beim nächsten deutsch-französischen Ministerrat, der am 26. April in Paris stattfinden wird, sind verschiedene Aktionen zwischen Deutschland und Frankreich vorgesehen, um die Mobilität von Studenten, Forschern, Lehrern und Kunstschaffenden zu fördern. Mit anderen Worten möchte ich sagen: Das, was der Bundeskanzler vorgeschlagen hat, und dem schließen wir uns voll und ganz an, bedeutet, dass die Mobilität der Intelligenz gefördert wird. Das geht über die Studenten hinaus und wird anlässlich unseres nächsten deutsch-französischen Ministerrats ein sehr wichtiger Punkt sein.

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Zur deutschen Diplomatie: Ich bin wirklich sehr erstaunt, denn schon seit Jahren arbeiten wir zusammen, und ich stelle fest, dass der deutsche Bundeskanzler der deutschen Diplomatie wieder ihren ganzen Einfluss gegeben hat. Das ist sehr wichtig für Deutschland, aber auch für Europa und somit für Frankreich. Sei es die Präsenz Deutschlands bei Friedensmissionen in der Welt und die erstrangige Verantwortung Deutschlands bei Friedensmissionen z. B. in Afghanistan, aber auch auf dem Balkan, sei es das Vorgehen Deutschlands und der deutschen Diplomatie bei der Reform der Vereinten Nationen, sei es die Aktualisierung der transatlantischen Beziehungen, die der Bundeskanzler vor kurzem perfekt definiert hat und die gestärkt, modernisiert und angepasst werden müssen. Seien es die wichtigen internationalen Krisen, wie in Afrika, Irak, Iran oder der syrisch-libanesische Konflikt, mit dem nicht nur wir, sondern die Demokratie, der Rechtsstaat, die Achtung der Menschenrechte konfrontiert sind, die in Frage gestellt werden. Oder sei es die wirtschaftliche Präsenz Deutschlands auf den großen aufstrebenden Märkten, über die wir uns freuen, denn die Erfolge des Kanzlers auf den großen aufstrebenden Märkten in China und in den Golfstaaten, sind wesentlich für ganz Europa und für eine europäische Entwicklungsstrategie.

Sei es schließlich die Diplomatie des Bundeskanzlers für das europäische Aufbauwerk, mit der wir voll und ganz übereinstimmen, das heißt seine Rolle bei der Erarbeitung und Umsetzung der europäischen Verfassung, seine Rolle bei einer vernünftigen Prüfung des Stabilitätspaktes, nicht um die Sicherheit und Ernsthaftigkeit der Finanzverwaltung in Frage zu stellen, sondern um das Leben und seine Anforderungen in den Bereichen Wirtschaft und Soziales zu berücksichtigen. Sei es sein Wunsch nach einer flexibleren Wettbewerbspolitik in Europa, die der Entwicklung der europäischen Wirtschaft besser angepasst ist. Sei es, Europa seine ganze Kraft zu geben und seine Stärken herauszustreichen.

Zu all diesen Punkten sind wir uns einig. Ich möchte damit feststellen: Es gibt überhaupt keinen Grund, aus dem wir unterschiedlicher Meinung sein könnten.

Sollten wir dennoch einmal unterschiedliche Meinungen haben, dann regeln wir das immer wieder so, dass unsere Beziehungen ein starkes, kohärentes, zusammenhängendes System sind, das in der Lage ist, Impulse zu geben.

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