Rede von Staatspräsident Jacques Chirac - Auszüge

Rede von Staatspraesident Jacques CHIRAC - auszuege -

Le Chambon-sur-Lignon, 8. Juli 2004

So ist das Frankreich, an das ich glaube: fähig zu dem Besten, getreu seiner Geschichte, seinen Wurzeln und seiner Kultur, ein mutiges, solidarisches Frankreich, das seine Ängste überwindet und sich selbst übertrifft, um denen entgegenzugehen, die seine Hilfe, seinen Schutz und seine Unterstützung brauchen. Ein großzügiges Frankreich, das Egoismus, Abschottung, Ausgrenzung und Diskriminierung ablehnt. Ein offenes und gastliches Frankreich, das in seiner Vielfalt vereint ist und mit Stolz sein Ideal der Gerechtigkeit und des Friedens in Europa und in der Welt trägt.

Auf dieses brüderliche Frankreich müssen wir stolz sein. Wir müssen es zum Leben bringen und es schützen. Dafür sollen wir uns täglich neu entscheiden.

Die Entscheidung, gemeinsam zu leben und jeglichen Unterschied zu achten, ist niemals definitiv getroffen. Der Kampf für Toleranz und Ehre ist eine unbeständige Errungenschaft, die stets aufs Neue gemacht werden muss.

Auch heute noch kommt es in unserem Land zu hassmotivierten Taten, die abscheulich und verachtenswert sind. Diskriminierungen, Antisemitismus und Rassismus in jeglicher Form breiten sich erneut schleichend aus. Sie treffen unsere jüdischen Mitbürger, die seit Menschengedenken in unserem Land leben. Sie treffen unsere muslimischen Mitbürger, die sich dafür entschieden haben, in unserem Land zu arbeiten und zu leben. Sie treffen letztendlich all unsere Landsleute.

Sie betreffen unsere Schulen. Sie bedrohen unsere Kinder. Sie entweihen unsere religiösen Orte, unsere Grabstätten, unsere so audrucksstarken Symbole.

All diese Ausbrüche körperlicher und seelischer Gewalt zeugen von Obskurantismus, Ignoranz, Dummheit. Sie drücken Fanatismus aus und den Wunsch, zu erniedrigen und zu unterdrücken. Sie stehen für das Ablehnen von Unterschieden und das Zurückweisen des Anderen

Diese Taten spiegeln den finstersten Teil der menschlichen Seele wider. Sie sind Frankreich nicht würdig. Ich werde alles dafür tun, dass dies ein Ende nimmt.

Die Täter solcher Verbrechen, Angriffe, Hassausbrüche, die leider in den vergangenen Jahren und Monaten zugenommen haben, werden unverzüglich und unermüdlich verfolgt. Sie werden verurteilt. Sie werden die Härte unserer Gesetze spüren. Die Opfer dieser Verbrechen sollen wissen, dass das ganze Land an ihrer Seite steht!

Unsere Mitbürger haben ein Recht auf Achtung, unabhängig von ihrer Geschichte oder ihrem Glauben. Der Laizismus erlaubt es jedem Einzelnen, seine Religion in Sicherheit auszuleben und zu praktizieren. Er ermöglicht der staatlichen Schule als Ort der Aneignung und Übermittlung der gemeinsamen Werte, für alle Menschen und für alle Empfindlichkeiten offen zu sein. Deswegen muss sie geschützt werden: Die staatliche Schule muss vor Einflussnahme und Leidenschaften geschützt sein. Das ist der Sinn des vor kurzem verabschiedeten Gesetzes, das das Tragen sichtbarer religiöser Zeichen verbietet. Die Republik ist das gemeinsame Gut aller, jedes Bürgers, mit den gleichen Rechten und Pflichten. Die Chancengleichheit ist eine Pflicht, der wir ganz nachkommen müssen. Sie muss im Zentrum des staatlichen Handelns stehen. In diesem Sinne wird ab Jahresende eine unabhängige Behörde zur Bekämpfung von Diskriminierungen einberufen.

Ich rufe alle, die öffentliche Verantwortung in unserem Land tragen, die Regierung, alle Staatsbediensteten und insbesondere die Polizei, die Verwaltungs- und Justizbehörden, aber auch die Bürgermeister, die Präsidenten der Regional- und Departementräte auf, lückenlose Entschlossenheit zum Kampf gegen nicht duldbare Intoleranzen zu zeigen. Der nationale Zusammenhalt ist keinem Lager vorbehalten. Er geht uns alle an.

Ich rufe den Justizminister auf, mit der größtmöglichen Strenge gegen alle Erscheinungsformen der Ausgrenzung und jede Versuchung, das Andere abzulehnen, vorzugehen. Ich rufe dazu auf, dass die Gerichte mit der größten Strenge und Beispielhaftigkeit Taten verurteilen, welche die Werte ablehnen, die unsere Nation zusammenhalten. Im Bereich Rassismus, Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit und Homophobie kann nicht akzeptiert werden, dass Fälle folgenlos bleiben werden. Jede Tat muss bestraft werden. Des Weiteren möchte ich, dass die Staatsanwaltschaft Berufung einlegt, wenn ihnen das Urteil angesichts der Schwere des Verbrechens zu nachsichtig erscheint. Hier geht es um Gerechtigkeit an sich.

Ich rufe das Ministerium für Bildung und alle Lehrer dazu auf, mehr denn je darauf zu achten, dass die Jugendlichen unsere republikanischen Grundsätze, unser Recht und unsere Geschichte vermitteln und teilen. Die Vermittlung von staatsbürgerlichen Rechten und Pflichten muss eine zentrale Aufgabe der republikanischen Schule sein, damit jeder von frühester Kindheit an das Gefühl bekommt, voll und ganz zur nationalen Gemeinschaft zu gehören, damit jeder stolz ist auf die französische Staatsbürgerschaft und damit jeder die dazu gehörigen Rechte und Pflichten, die Verhaltensweisen und Regeln für das Zusammenleben besser berücksichtigt. Dies wird eines der Ziele des Rahmengesetzes über die Schulen sein, das die Regierung Ende des Jahres dem Parlament vorlegt.

Ich möchte, dass alle Bürgermeister Frankreichs, die besser als jeder andere die Situationen vor Ort kennen und die oft am besten reagieren, vermeiden und schnell auf die Situationen eingehen können, sich zusammen mit dem Staat für diese Angelegenheiten engagieren, die wesentlich für unser gemeinschaftliches Leben und für unsere Zukunft sind. Ich rufe die Regierung dazu auf, dass in jedem Departement die Präfekten zusammen mit den Bürgermeistern über die Maßnahmen und die sinnvollen Initiativen nachdenken, um diesem inakzeptablen Verhalten besser vorzubeugen und es zu bekämpfen.

Und ich tue dies hier in Chambon, weil Sie hier beispielhaft sind.

Aber wenn der Staat auch noch so entschlossen vorgeht, so kann öffentliches Handeln doch alleine nicht ausreichen.

Das Beispiel Ihrer Region zeigt uns, dass der Einsatz jedes Einzelnen und die Solidarität aller, Tag für Tag, Gemeinschaften stark und beispielhaft machen. Es veranschaulicht die unwiderstehliche Triebkraft einer Brüderlichkeit, selbst im Unglück, die auf der Achtung von Regeln und gemeinsamen Grundsätzen beruht. Eine Brüderlichkeit, die sich der Anforderungen des Zusammenlebens und einer verantwortlichen Bürgerschaft bewusst ist.

Angesichts der drohenden Gleichgültigkeit und Passivität des Alltäglichen, rufe ich die französische Bevölkerung zur Wachsamkeit auf. Angesichts der Gefahr rufe ich auf zu einem Ruck.

Ich fordere sie in Anbetracht zunehmender Intoleranz, Rassismus, Antisemitismus und der zunehmenden Ablehnung des Anderen dazu auf, sich an die noch nahe Vergangenheit zu erinnern. Ich rufe sie dazu auf, den Lehren der Geschichte, einer noch so jungen Geschichte, treu zu bleiben. Ich rufe sie dazu auf, ihre Kinder immer an die tödliche Gefahr von Fanatismus, Ausgrenzung, Feigheit, von Kapitulation vor Extremismus zu warnen. Ich fordere sie auf, zu zeigen, dass wir entschlossen und fähig sind, in Eintracht und Respekt zu leben. (à).





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