Rede von der Präsident vor den Deutschen und Französischen abgeordneten schloss von Versailles

Rede von Herrn Jacques CHIRAC Präsident der Französischen Republik vor den Deutschen und Französischen abgeordneten schloss von Versailles

Mittwoch 22 janvier 2003

Herr Bundeskanzler,
Herr Premierminister,
Herr Präsident des Bundestags, Herr Präsident der Nationalversammlung,
Meine Damen und Herren Minister,
Meine Damen und Herren Parlamentarier,
Meine Damen, meine Herren,

Deutschland und Frankreich sind heute zusammengekommen, um der Geschichte zu gedenken und die Zukunft vorzubereiten. Gemeinsam feiern wir den Akt, durch den am 22. Januar 1963 zwei Staatsmänner, zwei Visionäre, Bundeskanzler Adenauer und General de Gaulle, die Aussöhnung zwischen unseren beiden Völkern besiegelten und zwischen ihnen eine Schicksalsgemeinschaft im Dienste des Friedens begründeten.

Beide wollen wir heute würdigen. Wir können ermessen, welche Wegstrecke zurückgelegt wurde. Und ihrem Beispiel folgend wollen wir in der Verständigung zwischen unseren beiden Ländern zum Wohle Europas noch weiter vorankommen.

In dieser Geschichte Europas, in der die kriegerischen Auseinandersetzungen einen derart breiten Raum einnahmen, betrachteten sich zwei große Völker mit Faszination und Leidenschaft. Sie bekämpften sich bis zur Erschöpfung, während sich gleichzeitig ihre Kulturen gegenseitig bereicherten und ständig eine große Anziehungskraft aufeinander ausübten.

General de Gaulle erinnerte an die weit in die Geschichte zurückreichenden Ursprünge der eigenartigen Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich, an diese "Wahrnehmung", so schrieb er, "dessen, was Gallier und Germanen gegenseitig ergänzt, und das einst das römische Reich am Rhein befruchtete, den Reichtum der Franken begründete, Karl dem Großen Ruhm bescherte, die Beziehungen zwischen dem französischen König und den Kurfürsten rechtfertigte, die glühende Begeisterung Deutschlands für die Französische Revolution auslöste, Goethe, Heine, Madame de Staël, Victor Hugo inspirierte und trotz der unerbittlichen Kämpfe, die sich beide Völker lieferten, ständig tastend nach einem Weg in der Finsternis suchte".

Ernst und Würde treten hinter der Emotion zurück, wenn man heute ihre Vertreter in Versailles versammelt sieht. Versailles, das zugleich Epilog und Prolog unserer Bruderkämpfe war. Im Spiegelsaal, nur wenige Schritte von hier entfernt, wurde das Deutsche Kaiserreich ausgerufen mit Folgen, die auf der französischen Gesellschaft ein halbes Jahrhundert lang wie ein Alp lasteten. Versailles und der Spiegelsaal, wo Deutschland nach 1918 Friedensbedingungen diktiert wurden, die jenseits des Rheins ein Gefühl der Demütigung und Rachegelüste weckten.

Wie es weiterging, wissen wir: Unterdrückung der Freiheit, Entfesselung der Gewalt und die damit verbundenen Zerstörungen und Leiden, die Millionen Tote, diese Apotheose des Schreckens und diese auseinander gerissenen Familien, diese gebrochenen Schicksale. In dieser schrecklichen Nacht erhoben sich hier und da bereits mutige Stimmen, um sich dem Unsagbaren zu widersetzen, dieser fatalen Verkettung Einhalt zu gebieten.

Männer mit Visionen haben den Weg aufgezeigt, denjenigen Europas. Dieser Weg führte über die deutsch-französische Aussöhnung. Diese beiden Vorhaben waren untrennbar miteinander verbunden. Europa sollte dort den Frieden besiegeln, wo so lange nur Krieg und brutale Gewalt herrschten. Es sollte den Freiheitstraum der unterdrückten Menschen unterstützen.

Künftig wird Versailles, das unser kollektives Gedächtnis so sehr geprägt hat, die brüderlichen Bande zwischen Deutschland und Frankreich und darüber hinaus zwischen allen Völkern unseres Kontinents symbolisieren. Dies, meine Damen und Herren, ist der Zweck Ihrer Anwesenheit in diesem feierlichen Augenblick, bei dem Deutsche und Franzosen an den Sinn ihrer Aussöhnung und ihrer Freundschaft, an die Bedeutung ihrer Union, an ihre Ambitionen für die Zukunft erinnern wollen.


An jenem 22. Januar 1963 schlossen Deutschland und Frankreich ein für allemal dieses grauenvolle Kapitel in ihrer gemeinsamen Geschichte. Sie taten dies getragen von dem Willen und von der Überzeugung zweier Männer, die der Charakter unserer beiden Völker geformt hatte und die entschlossen waren, der Geschichte einen neuen Sinn zu geben. General de Gaulle und Bundeskanzler Adenauer gingen aufeinander zu und teilten die Emotionen der Menschenmengen, die sie begrüßten. In der Stille des Gedenkens und der Andacht fanden sie zueinander.

Beide zollten einander Anerkennung und Respekt: Konrad Adenauer, der Gegner des Nazismus, der nie seinen Traum von einem demokratischen Deutschland aufgegeben hatte und dessen ganzes Streben darauf gerichtet war, seinem Vaterland seine Würde und Ausstrahlungskraft zurückzugeben; General de Gaulle, der Deutschland kannte, dessen Seele und Intelligenz bewunderte und der wie der Bundeskanzler diejenigen, die beides verraten hatten, bekämpfte.

Erinnern wir uns an die Worte, mit denen der Chef des freien Frankreichs am Tage vor der Unterzeichnung des Élysée-Vertrags seine Vision von der Welt darlegte: "Von allen Elementen, die die Gegenwart prägen", so erklärte er, "ist das deutsch-französische Verhältnis das herausragendste". Und hören wir, wie er Bundeskanzler Adenauer würdigte: "Dieser große Staatsmann, der nie aufgehört hat, zu denken und zu verkünden, dass die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Frankreich eine absolute Notwendigkeit ist, dass sie die Voraussetzung für das europäische Aufbauwerk ist und dessen Fundament bildet".

Es oblag in erster Linie Deutschland und Frankreich, Europa den Weg zu weisen auf der Grundlage der zwischen unseren beiden Völkern geschaffenen Union. Einzig und allein Bundeskanzler Adenauer und General de Gaulle vermochten den Lauf der Dinge zu beeinflussen. Das außergewöhnliche Zusammenwirken dieser beiden einzigartigen Schicksale sollte über das unserige entscheiden.


Die deutsch-französische Aussöhnung der letzten vierzig Jahre ist beispielhaft. Die Zusammenarbeit zwischen unseren beiden Ländern, die Hindernisse und Bedenken überwand, wurde zu einer Realität, die sich jeden Tag verfestigt. In diesen vierzig Jahren wurde jede entscheidende Etappe in Europa dank dem deutsch-französischen Motor zurückgelegt.

Unter der Führung und auf Initiative der Männer, die in Deutschland und Frankreich in der Folgezeit den Staffelstab übernahmen, wurden weitere Bande geknüpft: Georges Pompidou und Willy Brandt, Helmut Schmidt und Valéry Giscard d'Estaing, François Mitterrand und Helmut Kohl, und Sie selbst, Herr Bundeskanzler, mit dem ich seit nunmehr fast fünf Jahren diese Verantwortung, die auch eine immense Verpflichtung darstellt, teile, was mir eine Ehre ist.

Muss an die beträchtlichen Fortschritte erinnert werden, die Europa dank den Initiativen des deutsch-französischen Motors erzielte? Personenfreizügigkeit in einem durch die Schengener Übereinkommen geschaffenen gemeinsamen Raum. Freier Handel in einem großen Binnenmarkt. Entstehung des Europas der Verteidigung durch die Gründung der deutsch-französischen Brigade und danach des Euro-Korps. Sowie schließlich unsere Währung, der Euro; dieses aufgrund seines Wagemuts einzigartige Projekt verleiht Europa eine Dimension, die es in Wirklichkeit noch nicht voll und ganz zu ermessen vermag.

Getragen wurden diese Fortschritte in Europa von einer vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Frankreich, die eine bessere Kenntnis des anderen ermöglichte. An den Austauschprogrammen des Deutsch-Französischen Jugendwerks haben bislang bereits sieben Millionen Jugendliche teilgenommen. Mit der deutsch-französischen Universität wurde für die Studenten ein einheitlicher Raum geschaffen. Der Fernsehkanal Arte gehört nunmehr zum täglichen Leben unserer Mitbürger. Durch die Partnerschaften zwischen unseren Städten, Departements und Regionen, aber auch zwischen unseren Schulen und Verbänden entstanden überaus enge menschliche Bande.

Uns verbinden auch einzigartige wirtschaftliche Beziehungen, sei es im Handel oder bei den Investitionen. Unsere beiden Länder sind füreinander jeweils der wichtigste Handelspartner. Unsere Unternehmen haben gemeinsam Industriepole und Kooperationen von weltweiter Dimension begründet, die Europa zu einer Spitzenposition verholfen haben, wie beispielsweise in der Luft- und Raumfahrt.

In den letzten vierzig Jahren haben Deutsche und Franzosen somit ein ganzes Bündel gemeinsamer Referenzen geschaffen. Die deutsch-französischen Beziehungen sind ohnegleichen und erlegen uns gleichzeitig für die Zukunft Pflichten auf.


Herr Bundeskanzler, meine Damen und Herren, es ist nunmehr an der Zeit, dem Gründungspakt zwischen unseren beiden Ländern einen neuen Impuls zu verleihen.

Erneuern wir unseren Pakt, damit unsere beiden Völker gemeinsam noch mehr unternehmen und wir ein neues Bekenntnis zur deutsch-französischen Freundschaft ablegen können! Schließen wir einen Pakt, damit wir die Herausforderungen, die die Neugestaltung und Neugewichtung der europäischen Landschaft mit sich bringen, zu bewältigen imstande sind!

Im letzten Monat haben wir in Kopenhagen ein neues Kapitel in der europäischen Geschichte aufgeschlagen; dasjenige der Wiedervereinigung der europäischen Familie, die das 20. Jahrhundert auseinander gerissen hatte. Nächstes Jahr werden wir diese Völker, die ein Teil von uns sind, in unsere Gemeinschaft aufnehmen. Einbringen werden sie ihre Liebe zur Freiheit und ihre hohen Erwartungen.

In Kopenhagen besannen wir uns auf den Traum der Gründerväter zurück und schöpften aus den Quellen unseres europäischen Projekts; ein Projekt, das in unserem ganzen Kontinent Frieden, Demokratie und Stabilität verankern soll.

Dieses wiedervereinigte Europa, das vielfältiger, aber auch heterogener sein wird, braucht den deutsch-französischen Motor. Dieser riesige Raum mit 450 Millionen Einwohnern wird mit Risiken und Herausforderungen konfrontiert sein, die seinen Zusammenhalt und sein Gleichgewicht bedrohen können. Deshalb benötigt er ein Gravitationszentrum. Mehr denn je müssen unsere beiden Länder in der Union viel mehr als bloße Partner sein. Die Stimme des deutsch-französischen Tandems muss sich erheben, um Vorschläge zu unterbreiten, Initiativen zu ergreifen und diesem neuen Europa einen Weg zu ebnen.


Unsere Vision von Europa ermöglichte es, dass unsere Differenzen in den Hintergrund traten. Wir vermochten die Unterschiede, die sich aus unseren Traditionen, unserem kulturellen und historischen Erbe, unseren gegensätzlichen Interessen ergaben, zu erkennen, zu respektieren und zu überwinden. Unsere ständigen Bemühungen um gegenseitige Abstimmung entfalteten eine unvergleichliche Schubkraft zum Wohle von ganz Europa. Die Erfahrung hat gezeigt, dass Europa vorankommt, wenn zwischen Berlin und Paris Einvernehmen herrscht; andernfalls tritt Europa auf der Stelle.

Gibt es ein besseres Beispiel als die deutsch-französische Einigung in Brüssel, die einen fristgerechten Abschluss der Beitrittsverhandlungen gestattete? Dadurch wurde eine Dynamik freigesetzt, die zum Nutzen der Beitrittskandidaten wie auch der Union zu einer Einigung führte.

Auch morgen werden wir die ausgewogenen Lösungen finden, die unsere beiden Länder in zahlreichen Bereichen zu definieren und ihren Partnern vorzuschlagen haben. Dass wir diese Motorrolle im Dienste des europäischen Projekts zu spielen gedenken, versteht sich von selbst.


Bereits im Sommer 2000 hatten Deutsche und Franzosen erkannt, dass es nunmehr an der Zeit ist, Europa eine Verfassung zu geben. Die ersten Anregungen, die ersten Vorschläge gingen von Deutschland und Frankreich aus. Das bloße Wort Verfassung ließ manche damals erschauern, während es bei anderen Begeisterung auslöste. Und heute arbeitet ganz Europa an einem Verfassungsvertrag.

An einem Text, auf den sich jeder Unionsbürger wird berufen können. An einem Text, der die uns verbindenden Grundsätze und Werte preist und der dem großen Schiff Europa den Kurs vorgibt. Dieser Aufgabe widmen sich die Mitglieder des Konvents über die Zukunft Europas, den Valéry Giscard d'Estaing leitet, mit Begeisterung, aber auch mit Weisheit und Erfahrung.

Alle wichtigen Fragen werden dort behandelt. Diejenige der institutionellen Architektur, die der Union mehr Stabilität, öffentliche Wahrnehmung und Einfluss verleihen muss. Diejenige des Engagements der Bürger Europas zugunsten des europäischen Aufbauwerks. Die Frage, welche Befugnisse den Nationen und welche den europäischen Institutionen obliegen. Diejenige der Erweiterung der Union und ihrer geographischen Grenzen. Sowie schließlich die Frage, welche Rolle Europa auf der internationalen Bühne spielen soll.

Unsere gemeinsame Arbeit innerhalb dieses Konvents zeugt von dieser Entschlossenheit, das Europa von morgen aufzubauen.

So übermittelten der Bundeskanzler und ich letzte Woche dem Konvent einen Vorschlag zur institutionellen Architektur. Auch hier ermöglichte die Konfrontation unserer Vorstellungen die Erarbeitung eines Vorschlags, der – so hoffen wir – auf weitgehende Zustimmung stoßen wird. Jeder machte dem anderen gegenüber ein erhebliches Zugeständnis, wobei wir uns beide bemühten, das ursprüngliche Gleichgewicht der europäischen Institutionen zu wahren und gleichzeitig deren politische Legitimation zu stärken.

Dieser gemeinsame Beitrag verschafft dem Europäischen Rat durch die Kontinuität und die Stabilität seines Vorsitzes eine größere öffentliche Wahrnehmung. Zudem wird die Autorität der Kommission, die das europäische Allgemeinwohl verkörpern muss, gestärkt, da deren Präsident künftig durch das Europäische Parlament gewählt werden soll.

Europa muss auch weiterhin nach einem besonderen institutionellen Modell aufgebaut werden, demjenigen einer Union der Völker und einer Union der Staaten; und dieses Gleichgewicht vermag das Konzept der Föderation von Nationalstaaten am besten zu gewährleisten. Heute geht es nicht mehr darum, zwischen einem gemeinschaftlichen und einem zwischenstaatlichen Ansatz, zwischen mehr oder weniger Föderalismus, zwischen mehr oder weniger Souveränität zu wählen. Die wirkliche Frage lautet: mit welchen konkreten Mitteln kann sichergestellt werden, dass Europa durch legitimere, effizientere und sichtbarere Institutionen handlungsfähiger wird und sich vermehrt um die Belange seiner Bürger kümmert.

In diesem Halbrund möchte ich auf die Rolle hinweisen, die hierbei der nationalen Vertretung zufällt. Sie muss mehr denn je am europäischen Aufbauwerk mitwirken und zunehmend an der Erarbeitung und Kontrolle der europäischen Beschlüsse beteiligt werden. Denn es ist unerlässlich, dass die großen Akteure des nationalen politischen Lebens sich regelmäßig an der Debatte über Europa beteiligen und innerhalb eines Kongresses mit den Europaabgeordneten zusammenkommen, um beispielsweise einmal im Jahr über den Stand und die Zukunft der Union zu diskutieren.


Es ist dringend notwendig, dass Europa auf der internationalen Bühne zu einem vollwertigen Akteur wird. Heute dient Europa allen denjenigen als Beispiel, die sich mit der Fatalität des Krieges nicht abfinden wollen. Europa träumt nicht von einem nichtigen Ruhm, solchen Illusionen hängt es längst nicht mehr nach; es möchte vielmehr seine Macht in den Dienst des Friedens stellen. Für die Menschheit verkörpert es bestimmte Ambitionen. Damit das Gleichgewicht in der Welt gewahrt wird, brauchen wir ein handlungsfähiges Europa, auch im militärischen Bereich.

Diese Überzeugung veranlasste Deutschland und Frankreich, dem Konvent die Gründung einer Europäischen Sicherheits- und Verteidigungsunion vorzuschlagen, damit in Anbetracht der vielfältigen Risiken und Bedrohungen die gemeinsame Sicherheit und die Solidarität im Verfassungsvertrag verankert würden. Diese Union würde zudem den europäischen Pfeiler im Atlantischen Bündnis stärken und somit deutlich machen, dass unsere Engagements in der Europäischen Union und in der NATO sich ergänzen und miteinander vereinbar sind.

Des Weiteren schlugen unsere beiden Länder vor, die Möglichkeit einer verstärkten Zusammenarbeit auf den militärischen Bereich auszuweiten, ihre Vision von der Sicherheit durch eine gemeinsame Analyse der Bedrohungen weiter einander anzugleichen und endlich eine wirkliche Rüstungspolitik in die Wege zu leiten. Gemeinsam können wir die Zusammenarbeit mit unseren europäischen Partnern, die gewillt sind, weiter zu gehen, noch mehr vertiefen, damit die Europäische Union die Mittel erhält, die sie benötigt.

Auf allen Kontinenten sind wir mit Krisenherden konfrontiert. Hierbei denke ich natürlich an den Irak. Dies ist eine gewaltige Herausforderung. Aber der Krieg ist nicht unvermeidbar. Einzig und allein die Vereinten Nationen bieten den Rahmen für eine legitime Lösung. Frankreich und Deutschland, die nacheinander den Vorsitz im Sicherheitsrat innehaben, stimmen sich eng ab, damit sämtliche Friedenschancen genutzt werden können.

Ich denke auch an Afghanistan, wo unsere Streitkräfte Seite an Seite zur Stabilität und Sicherheit dieses Landes beitragen und somit dessen Wiederaufbau ermöglichen.

Unser Einsatz auf dem westlichen Balkan hat gezeigt, dass wir eine glaubwürdige europäische Politik zu definieren imstande sind. Heute ist die Union in der Lage, die NATO in Mazedonien abzulösen. Sie bereitet sich ebenfalls darauf vor, das Kommando über die internationale Schutztruppe in Bosnien zu übernehmen. Gemeinsam mit anderen Partnern – hierbei denke ich natürlich an unsere britischen Freunde – müssen Deutsche und Franzosen im Verbund wirksam zur Stabilisierung dieser Region beitragen. Unsere beiden Länder müssen darauf hinwirken, dass der Gipfel von Thessaloniki eine neue Etappe in der Annäherung dieser Länder an die Europäische Union markiert.

Dieses neue Europa muss auch mit seinen neuen Nachbarn in Osteuropa sowie mit den Mittelmeeranrainern, insbesondere den Maghreb-Ländern, privilegierte Partnerschaftsbeziehungen unterhalten, damit diese verstärkt in unseren Politiken eingebunden werden können und eine wirkliche Kooperation zwischen uns möglich ist.


Europa muss für seine Bürger den Fortschritt symbolisieren. Bei dem gewichtigen Prozess der Globalisierung bietet es ihnen Schutz und macht seinen ganzen Einfluss geltend, damit die Liberalisierung des Handels reguliert wird. Aus ethischer Verantwortung machen sich Deutschland und Frankreich dafür stark, dass das Klonen von Menschen weltweit verboten wird. Und zum Wohle der künftigen Generationen setzen wir uns für die Gründung einer Weltorganisation für Umwelt ein.

Gemeinsam müssen wir ein eigenes europäisches Wirtschafts- und Sozialmodell fördern, das sich auf ein Gleichgewicht zwischen einerseits Initiative und Verantwortung eines jeden Einzelnen und andererseits sozialem Schutz und notwendiger nationaler Solidarität stützt.

Für alle Bürger muss Europa schließlich zu einem wirklichen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts werden. Angesichts des Terrorismus, der organisierten Kriminalität und des Schmuggels müssen wir unsere polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit verstärken und Europa mit den zur Bewältigung dieser Herausforderungen notwendigen Handlungsinstrumenten ausstatten.


Der Europäischen Union eröffnet sich somit ein neues und immenses Betätigungsfeld. Dies müssen Deutschland und Frankreich gemeinsam urbar machen. Wann immer möglich müssen sie alle ihre Partner in der Union mobilisieren und erforderlichenfalls mit denjenigen, die rascher und weiter vorankommen wollen, eine verstärkte Zusammenarbeit begründen. Unsere beiden Länder, die sich prinzipiell bereits an allen diesen Avantgarde-Vorhaben beteiligen, stellen selbstverständlich das Kernstück der "Pioniergruppe" dar, für deren Bildung ich mich bereits vor drei Jahren vor dem Bundestag ausgesprochen hatte.

Heute fordern der Bundeskanzler und ich unsere beiden Völker auf, ihren Willen zu bekunden, Hand in Hand dieses große europäische Vorhaben fortzuführen. Die gemeinsame Erklärung, die wir heute Vormittag angenommen haben und die wir Ihnen anlässlich dieses 40. Jahrestages präsentieren, bezeugt, dass wir ein und dieselbe Vision von der Zukunft Europas haben und uns für eine stärkere, demokratischere und solidarischere Union engagieren.

Selbstverständlich kommt in dieser Erklärung auch unsere Entschlossenheit zum Ausdruck, zu dem Elan zurückzufinden, mit dem wir unsere Aussöhnung und unsere Annäherung vollzogen. Unsere engen Beziehungen, die nunmehr als selbstverständlich empfunden werden, müssen aber tagtäglich intensiv gepflegt werden.

Deshalb müssen wir den Dialog zwischen unserer Jugend wiederbeleben, den Austausch zwischen unseren Universitäten, die Aufnahme der Jugendlichen in unseren Unternehmen und Forschungszentren fördern; müssen wir das Interesse unserer Familien und unserer Kinder für die Gesellschaft, die Sprache und die Kultur des anderen schärfen; müssen wir die berufliche Mobilität unserer Mitbürger erleichtern.

Um die ganze Symbolkraft und Bedeutung des 22. Januar zu unterstreichen, haben wir ihn zum "deutsch-französischen Tag" erklärt. Denn aufbauen heißt auch sich erinnern. In allen Schulen muss dieser Tag der Zivilisation, der Gesellschaft und der Sprache des Partnerlandes gewidmet werden. Unsere Beziehungen sind in erster Linie Beziehungen zwischen den Menschen. Lassen wir deshalb auch unsere Herzen sprechen!

Setzen wir die politischen Zeichen, die dem, was wir jeweils füreinander bedeuten, gerecht werden.

Heute Vormittag hielten wir eine gemeinsame Kabinettsitzung ab. Gemeinsam erläuterten deutsche und französische Minister in ihrem jeweiligen Zuständigkeitsbereich den Stand der Zusammenarbeit und ihre Projekte für die Zukunft. Wir legten ihnen eine "Marschroute" mit den zu erreichenden Zielen fest. Ferner beabsichtigen wir, in jedem Land einen Generalsekretär für die deutsch-französische Zusammenarbeit zu benennen, der künftig die notwendigen Impulse für die weitere Vertiefung unserer Beziehungen zu geben hat.

Unserer heutigen Zusammenkunft kommt eine ganz besondere Bedeutung zu. Ihre Anwesenheit bezeugt, dass die Mitwirkung des Gesetzgebers an unserer Zusammenarbeit unerlässlich ist; denn ihm obliegt es, einen wirklichen Raum für die deutsch-französische Bürgerschaft zu schaffen. Ihnen und Ihrer engen Abstimmung, die fortzusetzen Sie beschlossen haben, ist es zu verdanken, dass unsere beiden Länder sich noch näher kommen, im täglichen Leben, im Innersten unserer Gesellschaften, die von den Gesetzen geprägt und gestaltet werden. Tragen wir mit unseren Gesetzen dazu bei, dass Deutschland und Frankreich zu einer wirklichen Gemeinschaft des Rechts, des Schutzes und der Brüderlichkeit werden!


Herr Bundeskanzler, Herr Premierminister, meine Herren Präsidenten, meine Damen und Herren,

Die Schicksale Deutschlands, Frankreichs und Europas vermengen und kreuzen sich. Deutsche und Franzosen müssen ihr gemeinsames Vorhaben fortführen. Ich habe Vertrauen in die Zukunft Europas, weil ich Vertrauen in den Bestand der deutsch-französischen Beziehungen habe.

Der Élysée-Vertrag, der heute vor vierzig Jahren unterzeichnet wurde, hat seine ganze Dimension und Kraft bewahrt. Er inspiriert unsere Visionen zum Wohle Europas.

Ich danke Ihnen.





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