Pressekonferenz mit Staatspraesident Jacques CHIRAC nach dem ministertreffen zu Libanon - auszuege -

Pressekonferenz mit Staatspraesident Jacques CHIRAC nach dem ministertreffen zu Libanon - auszuege -

Toulon, 9. August 2006

(...) In Libanon sind die grundlegenden Infrastrukturen fast vollständig zerstört und eine Million Vertriebener hat ihr gesamtes Hab und Gut verloren. In Israel hat die Bevölkerung unter dem massiven Raketenbeschuss der Hisbollah zu leiden.

Angesichts dieser Krise, die das Gleichgewicht einer ganzen Region bedroht, ist Frankreich sofort aktiv geworden. Unser Handeln hat zwei Prioritäten:

- Zunächst der leidenden Bevölkerung zu helfen und unseren Landsleuten in Libanon, die nach Frankreich zurückkehren wollen, dies zu ermöglichen. Das haben wir mit der Einrichtung von Schiffs- und Flugverbindungen getan, mittels derer über 10.000 Französinnen und Franzosen in unser Land zurückkehren konnten und die auch zahlreichen Libanesen zugute kamen, die ihr Land verlassen wollten. Diese Verbindungen sind heute noch in Betrieb und werden es auch bleiben. Wir haben der Bevölkerung auch umfangreich auf humanitärer Ebene geholfen.

- Parallel dazu haben wir uns nach Kräften für einen Waffenstillstand und eine dauerhafte Regelung dieser dramatischen Krise eingesetzt. Wie Frankreich von Anfang an bekräftigt hat, wird man mit Gewalt nichts erreichen. Jegliche Lösung setzt eine politische Einigung voraus.

- Deswegen habe ich zuerst den Premierminister und dann den Außenminister, der zum dritten Mal die Region besucht hat, darum gebeten, unsere Partner anzuhören und unsere Vorschläge darzulegen. Frankreich hat sich im Sicherheitsrat dafür eingesetzt, dass die Staatengemeinschaft eine Regelung für diese Krise unter der Ägide der Vereinten Nationen findet. Ich sage es noch einmal: Nur der Dialog kann Frieden und Sicherheit in die Region bringen.

Die Regelung, an der wir heute arbeiten, muss zwei Anforderungen erfüllen:

- die Wiederherstellung der Souveränität Libanons auf dem gesamten Staatsgebiet; das ist wesentlich für die Libanesen,

- und natürlich das Recht auf die Sicherheit Israels.

Wir haben also mit einem Resolutionsentwurf des Sicherheitsrates eine zweistufige Lösung ins Auge gefasst, die den beiden Parteien die notwendigen politischen und Sicherheitsgarantien bietet.

- Die erste Stufe besteht in einer vollständigen und unverzüglichen Einstellung der Feindseligkeiten, in jedem Fall, so schnell wie möglich, denn die Bevölkerung wird auf beiden Seiten hart geprüft. Von da ausgehend müssen wir die Grundsätze und Elemente eines ständigen Waffenstillstands und einer langfristigen politischen Lösung feststellen, der beide Parteien zustimmen und die insbesondere die Festlegung der Grenze – mit den Schebaa-Farmen -, die entführten israelischen Soldaten und die libanesischen Gefangenen betrifft.

Sobald diese Bedingungen geschaffen sind, werden wir zur zweiten Stufe übergehen, das heißt zur Stationierung einer internationalen Truppe. Ausgehend von einem politischen Engagement der beiden Parteien, das von den Vereinten Nationen überprüft wird, wird das Mandat dieser Truppe festgelegt. Frankreich wird sich je nach dem Mandat und gemäß der gerechten Aufteilung der Kontingente unter den Ländern, die die Truppe stellen werden, über seine Beteiligung entscheiden.

Der Resolutionsentwurf des Sicherheitsrates, über den wir uns mit den Vereinigten Staaten geeinigt haben, ist eine Arbeitsgrundlage. Israel und Libanon haben reagiert und wir müssen diese Reaktionen in Betracht ziehen, sowie auch die Interessen Libanons und die Stabilität, die Einheit, die Souveränität und die Unabhängigkeit des Landes.

Die libanesische Regierung schlug gestern vor, 15.000 Soldaten ihrer Streitkräfte im Süden Libanons zu stationieren. Diese Entscheidung wurde, das möchte ich betonen, einstimmig von der Regierung getroffen, und wir begrüßen sie, denn sie könnte der libanesischen Regierung ermöglichen, ihre Souveränität auf dem gesamten Staatsgebiet auszuüben. Es kann keinen freien und unabhängigen Staat geben, der seine Souveränität nicht auf dem gesamten Staatsgebiet ausüben würde.

Wir haben diese wichtige Entwicklung in unseren Vorschlägen berücksichtigt, hauptsächlich in denen, die wir in New York machen, um so schnell wie möglich eine Resolution im Sicherheitsrat zu erlangen. Unser Ziel ist, zu einer Einstellung der Feindseligkeiten zu gelangen, damit die Serie von Tod, Leiden und Zerstörung aufhört. Das ist unsere absolute Priorität.

Frage: (...) Was wird Frankreich tun, wenn die Kämpfe andauern, wenn die Amerikaner die Argumente der Franzosen für die Änderungsanträge Libanons nicht akzeptieren?

Chirac: Die libanesische Regierung, die Vorschläge in Form von sieben Punkten gemacht hat, von denen mehrere - bezüglich des Rückzugs Israels aus libanesischem Staatsgebiet, der Gefangenen und auch der Schebaa-Farmen – wichtig sind, übernimmt ihre Rolle, die Haltung Libanons zu verteidigen, eines Staates, der seine Unabhängigkeit und Stabilität will.

Diese Position wurde von der Arabischen Liga angenommen und unterstützt, wie ihre drei Vertreter, darunter der Generalsekretär, bezeugt haben, die sich gestern in New York getroffen haben, nachdem vor zwei Tagen das Treffen der Liga in Beirut stattgefunden hatte.

Von da ausgehend halte ich es für normal, dass wir die Lösungen, die insbesondere die Konfliktparteien anvisieren, berücksichtigen. Wir müssen sie berücksichtigen und haben deswegen auch beantragt, dass ein Entwurf – aufbauend auf der Einigung zwischen Frankreich und den USA – einige der befreffenden Anträge übernimmt.

Es scheint tatsächlich, dass Amerika bisher Vorbehalte hat, diesen Entwurf anzunehmen. Ich will mir nicht vorstellen, dass es keine Lösung gibt, denn dies würde heißen, dass man die derzeitige Situation akzeptiert, was die unmoralischste Lösung wäre, und dass man auf den unverzüglichen Waffenstillstand verzichtet. Also will ich es mir nicht vorstellen, weder von Seiten der Amerikaner noch von anderer Seite.

Wir werden sehen. Wenn wir eine Lösung finden, die mit den menschlichen, politischen und friedlichen Grundsätzen übereinstimmt, die ich vorhin erwähnt habe – umso besser. Wenn es uns nicht gelingt, werden wir im Sicherheitsrat debattieren und jeder wird klar seine Haltung darlegen, natürlich auch Frankreich durch seine eigene Resolution. (...)

Frage: Wie sehen Sie die Rolle Syriens:

Chirac: Jeder weiß um die Verbindungen zwischen Iran und der Hisbollah. Also ist es legitim, dass Iran als wichtige Macht dieser Region konsultiert wird oder jedenfalls dass es Kontakte, Beziehungen, gibt, wenn es auch nur darum geht, festzulegen, welchen Einfluss Iran auf die Rückkehr des Friedens im Mittleren Osten haben kann.

Was Syrien betrifft, weiß auch jeder um die Verbindungen zur Hisbollah. Meine Erfahrung bringt mich dazu, nicht ganz und gar vertrauensvoll zu sein. Der spanische Außenminister, Miguel Moratinos, hat vor ein Paar Tagen die politische Führung Syriens besucht und anschließend über die Ergebnisse seiner Gespräche berichtet. Er sagte, Syrien würde seinen ganzen Einfluss nutzen, um den Frieden in dieser Region wiederherzustellen. In der folgenden halben Stunde widerlegte der syrische Präsident komplett, was der spanische Außenminister gesagt hat.

Dies ist nicht gerade hilfreich, um die Beziehungen mit einem Land herzustellen, mit dem wir auf jeden Fall verhandeln müssen, insbesondere über den Grenzverlauf. Auch hier hat sich Syrien mehrmals damit einverstanden erklärt, dass die Schebaa-Farmen zu Libanon gehören. Aber es hat nie akzeptiert, dies schriftlich zu tun, obwohl es genau weiß, dass es eine natürliche, rechtliche Notwendigkeit wäre, damit die UNO eine Änderung des Grenzverlaufs erklären und darüber entscheiden kann. Ich wiederhole es, ich habe kein Vertrauen.

Es gibt ein weiteres bedeutendes Problem, bei dem Syrien Vertrauen erwecken könnte und das darin bestünde, die Arbeit des Internationalen Ermittlungsausschusses zu erleichtern, dessen Einrichtung die UNO beschlossen hat und der die Wahrheit über die Ermordung von Rafiq Hariri herausfinden soll. Auch hier könnte eine deutliche Geste das Vertrauen stärken.

Ich bin etwas erstaunt darüber, dass dieses Land Libanon, das die Kriege erlebt hat, die wir alle kennen, und das komplett wiederaufgebaut wurde, dieses Land, dessen damaliger Premierminister eine für Libanon sehr wichtige nationale Reaktion ausgelöst hat, zu sehen, dass die ganze Arbeit in gewisser Weise zunichte gemacht wurde. Diejenigen, die Rafic Hariri umgebracht haben, und ihre Komplizen haben Libanon und dem ganzen libanesischen Volk sehr geschadet. Das möchte ich an dieser Stelle wiederholen.

(...)

Frage: Glauben Sie, dass die libanesische Regierung heute dazu fähig ist, die Resolution 1559 anzuwenden, vor allem die Hisbollah zu entwaffnen und anschließend die palästinensischen Gruppen in Libanon zu entwaffnen? Fürchten Sie nicht, dass man einen Kreislauf der Gewalt auslöst?

Chirac: Diese Frage müssen eigentlich die Libanesen beantworten. Eines muss man verstehen: Es gibt in der Geschichte keinen Staat, der nicht die Autorität über sein gesamtes Staatsgebiet hätte. Vorgeben zu wollen, dass ein Teil des libanesischen Staates den Milizen untersteht, ist mit einem stabilen und sich demokratisch entwickelnden Libanon unvereinbar.

Es ist also an den Libanesen, sich diese Situation und die Tatsache bewusst zu machen, dass diejenigen, die manch einen dazu ermuntern, Krieg, Attentate, Terrorismus zu befürworten, einen großen Fehler machen. Schließlich zahlen alle Libanesen, unabhängig von ihrer Konfession, für die entstandenen Schäden, wie man sieht. (...).





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