Gemeinsame Presskonferenz von Staatpraesident Jacques CHIRAC und Bundeskanzlerin Angela MERKEL -Auszuege-

Gemeinsame Presskonferenz von Staatpraesident Jacques CHIRAC und Bundeskanzlerin Angela MERKEL -Auszuege-


Versailles (Yvelines) 23. Januar 2006

Chirac: Meine Damen und Herren, ich freue mich, die Bundeskanzlerin und unsere beiden Außenminister hier in Versailles anlässlich der Eröffnung der Ausstellung „Glanz am sächsischen Hofe" begrüßen zu können (...).

Ich freue mich ebenso über die guten und engen Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich. In den vergangenen Tagen haben sich unsere Außenminister getroffen; und die Bundeskanzlerin hat den französischen Premierminister empfangen. Wir sind heute in Versailles, und in den Beziehungen ist eine Beständigkeit und eine Intensität, die ich hier besonders erwähnen möchte. Und die sich natürlich heute in Perspektiven niederschlagen muss, auf die ich gleich zu sprechen komme.

Wir haben vorhin die europäischen Fragen erörtert und beabsichtigen, die nächsten EU-Räte, die im März und im Juni unter österreichischem Vorsitz stattfinden, zusammen vorzubereiten. Wir wollen dabei dem Gestalt verleihen, was ich vor einiger Zeit vorgeschlagen habe, nämlich einen neuen Impuls für den europäischen Aufbau und die Europäische Union.

Nach den Schwierigkeiten infolge des französischen und des holländischen Referendums und nach dem Erfolg beim europäischen Haushalt wollen wir unserem Europa einen neuen Impuls geben, indem wir vorrangig konkrete Lösungen für die Probleme finden, die sich den Europäern heute in Sachen Wachstum, Beschäftigung, Forschung, Innovation und in sozialen Fragen stellen. Das ist unsere Zielvorstellung, die wir beim nächsten Europäischen Rat vorbringen werden.

Wir wollen, dass die politischen Optionen, die beim Europäischen Rat unter britischem Vorsitz in Hampton Court festgehalten wurden, beim Ratstreffen am 23. März zu Entscheidungen führen. In diesem Zusammenhang erwarten wir von unseren Ministern, dass sie jeder für den eigenen Bereich einen gemeinsamen Weg ausarbeiten, damit diese Ziele erreicht und beim nächsten deutsch-französischen Ministerrat am 14. März in Berlin verwirklicht werden können.

In diesem Sinne haben wir abgestimmte oder gemeinsame Positionen im Beschäftigungsbereich, besonders für die Integration junger Menschen, erörtert; ein Thema, das der österreichische EU-Vorsitz zu Recht als vorrangig für Forschung und Innovation ansieht, und wir haben bereits zusammen wichtige Schritte unternommen, damit die europäische Forschung und Innovation in der Lage ist, sich auf die Welt von morgen einzustellen.

Was den Energiebereich betrifft, so wissen Sie, dass Frankreich, übrigens morgen schon, im EU-Rat ein Memorandum zur Energieversorgung unterbreiten wird. Im Hinblick auf die Demografie ist eine Reaktion auf den demografischen Wandel in Europa erforderlich. Im universitären Bereich wollen wir unsere Universitäten stärker zusammenschließen, damit wir sie weltweit in der ersten Reihe halten oder dorthin bringen können. Die Probleme im Zusammenhang mit der Migration, die wir versuchen müssen, soweit möglich gemeinsam zu lösen. Und besondere Probleme wie die Vogelgrippe, wo die Bundeskanzlerin konkrete Vorschläge macht, die Frankreich natürlich voll und ganz unterstützt.

Soviel zu den wichtigsten Bereichen, in denen beim nächsten Rat gemeinsame Entscheidungen möglich sein müssten.

Wir wollen auch den Europäischen Rat vom Juni vorbereiten, der sich mit der Zukunft der EU beschäftigen wird. Ohne Schlussfolgerungen vorwegnehmen zu wollen, die die Europäer aus der Situation mit dem Verfassungsvertrag ziehen werden, habe ich vorgeschlagen, eine Verbesserung der Arbeitsweise der Institutionen im Rahmen der bestehenden Verträge zu prüfen.

Ich denke besonders an die innere Sicherheit und die Justiz, an das außenpolitische Handeln und an die Verteidigung, an eine bessere Einbeziehung der nationalen Parlamente in den europäischen Entscheidungsprozess. Außerdem werden wir bei diesem Rat Gelegenheit haben, über die umfassende Strategie im Hinblick auf die Erweiterung zu sprechen.

Zu den internationalen Problemen werde ich mich kurz fassen, denn hier gibt es praktisch überhaupt keine Meinungsunterschiede. Vor allem zu den Problemen im Mittleren Osten besteht absolute Übereinstimmung zwischen Deutschland und Frankreich.

Was Libanon betrifft, an dem den Franzosen bekanntlich sehr gelegen ist, so habe ich daran erinnert, dass die Zeit der Wahrheit und der Gerechtigkeit gekommen ist und dass die Regierung und das libanesische Volk auf unsere Unterstützung zählen können, wenn es darum geht, die Destabilisierungsversuche zum Scheitern zu bringen und die Demokratie, die Unabhängigkeit und die Freiheit zu stärken.

(...)

Ist Frankreich bereit, die Atomstreitmacht gegen Iran einzusetzen?

Die Tatsache, dass Frankreich eine Atommacht ist, ist für niemanden ein Geheimnis, denke ich, weder in Deutschland noch sonstwo in der Welt. Es ist eine Tatsache. Dies vorausgeschickt möchte ich daran erinnern, dass die Art der Bedrohung, die Festlegung der vitalen Interessen für ein Land und damit auch die mögliche Reaktion sich mit der Zeit entwickeln. Aus diesem Grund habe ich mich entschlossen, an die Grundlagen der französischen Abschreckungspolitik zu erinnern, ohne etwas daran zu ändern. Ich wollte, in Anbetracht der Entwicklung in der Welt, daran erinnern, damit die Dinge klar sind.

Für uns ist und bleibt die Abschreckung, ich wiederhole das noch einmal, eine „Lebensversicherung" für unsere vitalen Interessen, die französisch oder europäisch oder anderer Art sein können. Die Atomwaffen sind für uns in keinem Fall Gefechtswaffen, aus diesem Grund benutzt man manchmal den Begriff „Nicht-Einsatz-Waffen". Es sind keine Gefechtswaffen. Ich habe keinesfalls von einem Absenken der atomaren Schwelle gesprochen. Es war, in einer sich entwickelnden Welt, einfach die klare Erinnerung an unsere Grundsätze im Zusammenhang mit der atomaren Abschreckung. Darüber muss sich niemand in Deutschland auch nur die geringsten Sorgen machen.

Im deutsch-französischen Wirtschaftsumfeld gehen schätzungsweise 40.000 Stellen verloren, weil die Kenntnisse in der Partnersprache unzulänglich sind. Sind in diesem Zusammenhang besondere Maßnahmen vorgesehen? Gibt es hier eine deutsch-französische Besonderheit?

Ihre Beobachtung ist vollkommen richtig und die Zielsetzung völlig legitim. Übrigens beobachte ich seit einiger Zeit eine starke Zunahme bei den jungen Franzosen, die Deutsch lernen. Das hängt damit zusammen, dass jetzt ab der fünften Klasse zwei Sprachen unterrichtet werden. Zwar sind die jungen Franzosen ganz automatisch versucht, zuerst Englisch zu nehmen, aber wenn es um die Wahl der zweiten Sprache geht, so ist Deutsch jetzt im Aufwind.

Ich wünsche mir sehr, dass diese Bewegung weiter geht. Ich denke, es ist unverzichtbar, dafür zu sorgen, dass alle Europäer möglichst schnell schon in jüngsten Jahren in der Pflicht sind, zwei Sprachen zu erlernen. Das ist das beste Mittel, um die Verbreitung von Deutsch wie von Französisch zu fördern.

Gibt es eine Einigung über die Senkung der Mehrwertsteuer für die französischen Restaurants?

Die Entscheidung fällt morgen im EU-Rat auf der Ebene der Finanzminister auf Vorschlag des EU-Vorsitzes. Wenn ich mir erlauben darf, etwas vorwegzunehmen, so möchte ich zunächst sagen, wie sehr es mich freut, dass Frankreich aller Wahrscheinlichkeit nach die reduzierte Mehrwertsteuer im Immobiliensektor beibehalten kann. Das ist für uns sehr wichtig, denn damit ist eine beachtliche Anzahl von Arbeitsplätzen verbunden.

Was die reduzierten Mehrwertsteuersätze in der Gastronomie angeht, so wünschen wir uns den Mindestsatz. Die Bundeskanzlerin hat mir die Probleme erörtert, die sich ihr stellen, und ich kann das gut nachvollziehen.

Ich habe in diesem Zusammenhang geltend gemacht, dass es sich in Frankreich um ein Arbeitsplatzproblem handelt. Es geht nicht darum, den einen oder den anderen zu gefallen. Es geht darum, eine Arbeitsmarktpolitik zu fördern. Es gibt ein großes Stellenpotential in diesem Sektor, das zweifellos durch niedrigere Mehrwertsteuersätze begünstigt würde.

Ich fordere also weiterhin niedrige Mehrwertsteuersätze. Was ich mir aber für die Finanzministerrunde morgen wünsche ist, selbst wenn kein Konsens über den französischen Antrag erzielt werden kann, dass der Antrag nicht endgültig abgelehnt wird und die Kommission in der Lage ist, ihre Arbeit fortzusetzen, Vorschläge zu machen, u.a. im Hinblick auf die Auswirkungen für den Arbeitsmarkt und auf Wettbewerbsverzerrungen, die eine solche Maßnahme mit sich bringen würde.

Wir haben, wie Sie wissen, bedeutende Maßnahmen im sozialen Bereich getroffen, wie geringere Abgaben für die Gastronomie. Wir werden daran sicher festhalten, unter den Bedingungen, die die Regierung bestimmen wird. Aber nicht das ist unser Ziel, nicht einfach die Senkung der Abgaben in der Gastronomie, sondern die Senkung der Mehrwertsteuer, und wir werden alles tun, um das zu erreichen ./.





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