Pressekonferenz von Staatspraesident Jacques Chirac im anschluss an den Europaeischen rat (auszuege)

Pressekonferenz von Staatspraesident Jacques CHIRAC im Anschluss an den Europaeischen Rat - auszuege

Brüssel, 23. März 2005

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Das Ziel dieses Gipfeltreffens war es, Europa für mehr Wachstum und Beschäftigung mobil zu machen und - was für uns alle wesentlich ist – das europäische Sozialmodell zu garantieren. Es standen also zwei Hauptpunkte auf der Tagesordnung: Die Reform des Stabilitätspaktes und die Überprüfung der so genannten Lissabon-Strategie.

Was den Stabilitätspakt betrifft, so hatten wir diesen bekanntlich bei dem Gipfeltreffen in Amsterdam 1997 verabschiedet . (...) Damals war es uns wichtig, den Punkt Wachstum in den Stabilitätspakt aufzunehmen. Der Pakt wurde also „Stabilitäts- und Wachstumspakt" genannt, die Forderung nach Wachstum geriet aber etwas in Vergessenheit.

Es war also unerlässlich, auf diesen Punkt zurückzukommen. Man konnte deutlich sehen, dass die Zwänge, so wie sie im Pakt festgehalten worden waren, negative Auswirkungen auf die Beschäftigung und auf soziale Probleme haben, insbesondere wenn das Wachstum nicht gerade gut ist. Die Forderung nach Wachstum musste also wirklich wieder mit der Stabilität verankert werden. Das hatten einige Länder gefordert und darüber haben die Finanzminister, insbesondere unter dem Antrieb Deutschlands und Frankreichs, verhandelt. Dies wurde zunächst innerhalb der Eurogruppe beschlossen, dann von allen 25 Staaten des Rates Wirtschaft und Finanzen und so konnten wir schließlich heute die Beschlüsse der Finanzminister ohne Änderung verabschieden.

Wir werden also einen Pakt haben, der einerseits die wirtschaftliche Gesamtsituation, andererseits die Einzelsituationen der betreffenden Länder besser in Betracht zieht. Das heißt insbesondere, dass das allgemeine Wachstumsniveau in Zeiten der Hochkonjunktur berücksichtigt wird. Man wird dann mehr auf die Anstrengungen der einen und der anderen achten, damit sie ihre Ausgaben seriös verwalten. In Zeiten mit schwachem Wachstum hingegen, wenn es Schwierigkeiten oder Probleme gibt, werden wir darauf achten, zu den bereits bestehenden Zwängen nicht noch wirtschaftliche Einschränkungen hinzuzufügen, um zu vermeiden, dass die wirtschaftlichen und damit sozialen Schwierigkeiten noch größer werden.

Wir werden auch einen Pakt haben, der das Wachstum und die politischen Ziele der Union unterstützt. Wir haben beschlossen, mit bestimmten Ausgaben gesondert umzugehen. (...)

Wir haben uns für eine Lösung entschieden, die uns erlaubt, die Art der Ausgaben zu berücksichtigen und Ausgaben in Zusammenhang mit prioritären Zielen anders zu behandeln. Hierzu zählen: Forschung, Investitionen, staatliche Entwicklungshilfe, die zur internationalen Solidarität zählt, militärische Ausgaben, entweder funktionell oder zu Forschungszwecken, denn sie sind die politischen Ziele. Diese etwas andere Herangehensweise wird ermöglichen, viel realistischer an die Konsequenzen der Ausgaben und insbesondere an den jeweiligen Haushalt heranzugehen.

Das soll natürlich nicht heißen, das wir die Haushaltsdisziplin einfach so aufgeben. Die Regelung der 3% bleibt bestehen, sie ist erforderlich. Die Regelung der 60% bezüglich der Verschuldung bleibt ebenfalls erhalten. Aber der Rat behält es sich vor, eventuelle Überschreitungen, die die Konsequenz einer bestimmten Investitionsanstrengung, einer Anstrengung im Bereich Forschung, bei der internationalen Solidarität, bei der Verteidigung der Europäischen Union sein könnten, in seine Beurteilung einzubeziehen.

Es handelt sich also um einen Pakt, der weniger mechanisch und wirtschaftlicher sein wird und den man ohne Zweifel besser einhalten wird, da er auch auf mehr Akzeptanz stößt.

Der zweite wichtige Verhandlungspunkt war die Lissabon-Strategie. Wir haben eine neue Partnerschaft verabschiedet. Wir haben eine Lissabon-Strategie vorgesehen, deren Ziel es sein sollte, uns bei Aktivität und Beschäftigung an die erste Stelle weltweit zu setzen. Wir haben aber bemerkt, dass wir dieses Ziel nicht erreicht haben und so eine neue Anstrengung, eine neue Überlegung brauchen, die es uns ermöglicht, das wirtschaftliche Handeln zu verstärken. Aber das wirklich charakteristische für die Europäische Union ist die Einhaltung eines europäischen Sozialmodells. Wir müssen also ein besseres Entwicklungsmodell und ein besseres Wachstumsmodell finden und dabei das europäische Sozialmodell einhalten, das heißt die sozialen Rechte, die sich stets nach oben und nicht nach unten entwickeln müssen.

In diesem Bereich erhöht Europa seine Mittel für eine echte Industriepolitik, um Beschäftigung zu fördern und gegen Abwanderungen zu kämpfen. (...) Wir haben allem neuen Schwung gegeben, was die Verwirklichung der großen Projekte wäre, die gestern die Kraft Europas ausgemacht haben. Ich denke an Airbus, an Ariane und andere, die morgen die Kraft Europas ausmachen können, wenn sie sich ab sofort engagieren.

Das ist im Übrigen der Sinn der jüngsten Reform, die Frankreich mit der Schaffung der Agentur für industrielle Innovation verabschiedet hat. (...)

Nächster Punkt: die Jugend. Es ist ganz klar, dass wir in Europa ein Problem mit der Jugend haben, ein qualitatives und quantitatives Problem. Aus bekannten Gründen ist die europäische Demografie ungenügend und demzufolge erhöht sich das Durchschnittsalter der europäischen Bevölkerung. Damit wächst auch die Solidarität, die man alten Menschen im Bereich Renten- und Gesundheitssystem schuldig ist.

Das ist legitim und normal, heißt aber auch, dass immer größere Summen in diese Solidarität fließen und dass das, was für die Jugendlichen übrig bleibt, ungenügend ist. Ungenügend zumindest im Vergleich mit anderen großen Ländern, z. B. die USA, wo die Zahl der arbeitslosen Jugendlichen weit unter der in Europa und das Durchschnittseinkommen der Jugendlichen weit über dem in Europa liegt. Wir haben also ein echtes Problem, das insbesondere die unzureichende Konkurrenzfähigkeit und die unzureichende Wirtschaftsaktivität erklärt. Für die Jugendlichen wird nicht genug getan, um sie zu motivieren, sie dazu zu bringen, sich für Arbeit, Beschäftigung und die Schaffung von Reichtum zu engagieren.

(...) Der europäische Pakt für die Jugend wurde gestern verabschiedet. Wir setzen damit auf die Jugend. Mit diesem Pakt zeigen wir das Streben Europas nach einer dynamischeren Demografie und damit einer besseren Vereinbarung des Berufslebens mit dem Privat- und Familienleben. Unser Hauptziel ist dabei, die jungen Haushalte zu ermutigen, so viele Kinder zu haben, wie sie sich wünschen und nicht, wie sie sich leisten können. Europäische Studien zeigen, dass es hier erhebliche Unterschiede gibt.

Wir wollen mehr dafür tun, auf die Erwartungen der Jugendlichen eingehen zu können, insbesondere was Erziehung, Bildung, Beschäftigung, Mobilität und sozialen Aufstieg angeht. In allen Bereichen haben wir erhebliche Anstrengungen zu unternehmen, die nur gemeinsam erfolgen können. (...)

Als letzten Punkt habe ich unterstrichen, dass Wirtschaftswachstum und sozialer Zusammenhalt in Europa Hand in Hand gehen. Das ist es, was die Stärke, die Einmaligkeit, den Wert des Projektes Europa ausmacht. Das versteht man unter dem europäischen Sozialmodell. In diesem Sinne musste ich an Frankreichs vollständige Ablehnung der Dienstleistungsrichtlinie erinnern. Viele Länder teilen unsere Meinung, allen voran Deutschland. Auch im Europäischen Parlament hat sich starke Kritik an dem ursprünglichen Entwurf einer Dienstleistungsrichtlinie breitgemacht. (...) Es gab also Gründe, diese Richtlinie in Frage zu stellen. (...)

Frankreich ist natürlich nicht gegen einen gemeinsamen Dienstleistungsmarkt, von dem es an erster Stelle profitieren würde, da wir die Hauptexporteure von Dienstleistungen in Europa sind. Wir werden sicher nicht gegen einen einheitlichen Dienstleistungsmarkt sein, unter der Bedingung, dass es ein Markt ist, auf dem die Regelungen erlauben, dass alle nach oben und nicht nach unten gezogen werden, was beim letzten Text der Fall war.

Deswegen haben wir eine Überarbeitung der Dienstleistungsrichtlinie gefordert. (...).





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