Pressekonferenz mit Staatspräsidenten Chirac und Bundeskanzler Schröder in Blomberg

Pressekonferenz mit Staatspräsidenten Chirac und Bundeskanzler Schröder

7 März 2005


Informelles Gespräch von Bundeskanzler Gerhard Schröder und dem französischen Staatspräsidenten Jacques Chirac in Blomberg ("Blaesheim-Treffen")


BK SCHRÖDER: Meine Damen und Herren, ich begrüße Sie hier sehr herzlich in meiner lippischen Heimat. Ich bin dem französischen Staatspräsidenten sehr dankbar, dass er hierher gekommen ist; denn nicht in diesem Ort, aber in einem kleinen Ort, der zu dieser Stadt gehört, bin ich geboren. Das ist lange her, wie man sehen kann.

Ich bin natürlich besonders froh über den herzlichen Empfang, den die lippischen Bürgerinnen und Bürger dem französischen Staatspräsidenten hier gewährt haben. Die Stimmung ist hier schon seit Wochen sehr gut, weil sich alle gefreut haben, Jacques Chirac, einen Freund Deutschlands und einen persönlichen Freund, hier begrüßen zu können. Natürlich ist das Umfeld, in dem wir unsere Gespräche miteinander haben führen können, ein ungewöhnliches und sehr schönes Umfeld.

Wie immer in den letzten Jahren gibt es eine nahtlose Übereinstimmung bezüglich der europäischen, aber auch der internationalen Themen, sodass ich Ihnen leider nicht von Differenzen berichten kann bzw. -Gott sei Dank- nicht berichten muss, sondern nur von Übereinstimmungen.

Wir haben uns natürlich insbesondere mit den europäischen Themen beschäftigt, und ich will Ihnen drei nennen. Zum einen gehen wir davon aus, dass es der luxemburgischen Präsidentschaft der Europäischen Union gelingen wird, eine Reform des Stabilitäts- und Wachstumspaktes durchzusetzen, die wachstumsorientierter ist, als dies in der Vergangenheit der Fall war. Wir sind, was die Einzelheiten angeht, einer Meinung und werden sie der luxemburgischen Präsidentschaft auch gemeinsam unterbreiten. Ich selbst werde am Dienstag Abend bei Herrn Juncker sein und dort natürlich die französisch-deutsche Position erläutern.

Wir haben zweitens sehr intensiv über die finanzielle Vorausschau für die Jahre 2007 bis 2013 gesprochen und auch hierbei in großes Maß an Übereinstimmung festgestellt. Wir wollen an der Grenze des Budgets für die Europäische Union in Höhe von 1% festhalten. Wir wollen nicht an dem rütteln lassen, was wir in Brüssel vor Kopenhagen vereinbart haben, nämlich am Agrarkompromiss, der die Bedingung für die EU-Erweiterung gewesen ist und an den sich selbstverständlich jeder, der damals dabei war, gebunden fühlt und an den sich auch diejenigen, die zu uns gekommen sind, gebunden fühlen müssen, weil er in Kopenhagen den Durchbruch für den Erweiterungsprozess gebracht hat.

Wir haben natürlich auch bei der Bewertung der so genannten Dienstleistungsrichtlinie ein großes Maß an Übereinstimmung festgestellt. Weder der französische Präsident noch ich sind der Auffassung, dass wir im Binnenmarkt nicht auch Dienstleistungsfreiheit bräuchten. Das Prinzip ist völlig unumstritten. Das sage ich vor allen Dingen denjenigen, die Frankreich und Deutschland immer kritisieren. Wir brauchen nicht nur die Freiheit für die Gütermärkte, sondern wir sind natürlich auch für die Dienstleistungsmärkte. Es kommt nur darauf an, das so einzurichten, dass wir in diesem Bereich nicht bei Lohndumping enden und dass wir nicht alle sozialen Bezüge -etwa im Gesundheitsbereich, bei den öffentlichen Dienstleistungen- verschütten, auf die unsere Bürgerinnen und Bürger zurecht Wert legen. Das werden wir der Kommission gegenüber in den Gesprächen klar machen.

Wir gehen eigentlich davon aus, dass die Dienstleistungsrichtlinie -jedenfalls so, wie Sie von Herrn Bolkestein, dem Vorgänger des jetzt zuständigen Kommissars, konzipiert worden ist- wirklich auf gar keinen Fall Geltung bekommen kann. Uns wäre es am liebsten, man änderte den Entwurf nicht nur, sondern formulierte einen neuen oder veränderte ihn jedenfalls so durchgreifend, dass von der ursprünglichen Richtlinie nicht die Dinge übrig bleiben, die die Menschen in unseren Ländern besonders betreffen und die sie auch in Angst und Schrecken versetzen. Das darf man dabei nicht übersehen.

Wir haben uns darauf verständigt, dass zu den Gemeinsamkeiten bezüglich der internationalen Themen, was den Nahen Osten, den Iran und Russland angeht, der Herr Präsident etwas sagen wird, damit ich hier nicht sozusagen den Alleinunterhalter spielen muss. - Bitte schön, Herr Präsident, lieber Jacques!

P CHIRAC: Herr Bundeskanzler, meine Herren Minister, meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst einmal möchte ich Ihnen, Herr Bundeskanzler, meinen Dank aussprechen. Sie haben uns in diese wunderschöne Stadt eingeladen. Sie ist auch die Stadt, in der Sie geboren worden sind. Ich bin sehr bewegt. Meinen ganz herzlichen Dank dafür, Herr Bundeskanzler!

Ich möchte meinen Dank ebenfalls wirklich an den Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen, Herrn Steinbrück, richten, der heute -dies ist auch selbstverständlich- an den Trauerfeierlichkeiten (anlässlich des Todes) von Herrn Wischnewski teilnimmt. Ich kenne Herrn Steinbrück, und ich weiß, wie sehr er geschätzt wird und welche Arbeit er geleistet hat. Ich möchte ihm sagen, dass auch ich genau wie er das Wirken von Herrn Wischnewski, der verstorben ist, würdigen möchte.

Ich möchte ebenfalls ganz herzlich dem Bürgermeister von Blomberg danken, zunächst einmal für seinen Empfang, der so freundschaftlich war, aber auch für den Empfang, den uns die Bevölkerung bereitet hat. Wir sind hier sehr herzlich empfangen worden. Es gab Lächeln auf vielen Lippen. Ich möchte Sie bitten, der Bevölkerung unseren Dank auszusprechen und all denen in der Stadt zu danken, die alles daran gesetzt haben, dass dieses Treffen zu einem Erfolg wird. Ich möchte Ihnen wirklich unseren ganz herzlichen Dank aussprechen.

Der Bundeskanzler hat gerade daran erinnert, dass es noch zwei Wochen bis zum Europäischen Rat sind. Es ist in der Tat so, dass wir uns anlässlich dieses Rates für Wachstum und Beschäftigung einsetzen wollen. In diesem Bereich möchten wir uns auch einigen, was die Lissabon-Strategie anbelangt, in die auch wirtschaftliche Forderungen, aber auch soziale Aspekte und Umweltaspekte einfließen, deren Bedeutung, so glaube ich zumindest, noch stärker unterstrichen werden muss.

Wir wollen der Jugend in Europa alle möglichen Chancen bieten. Sie wissen, dass der Bundeskanzler und ich eine Initiative entworfen und darin festgestellt hatten, dass eine gewisse Überalterung Europas stattfindet, gegen die man etwas tun muss, indem man in Zukunft demographisch substanzieller vorgeht. Wir haben festgestellt, dass die Belastungen durch diese Überalterung, die sich auf Grund der Solidarität gezwungenermaßen ergeben, der Jugend zum Nachteil gereichen. Wir möchten unsere Integrationspolitik und Beschäftigungspolitik auch für die Jugend verstärken, um die materielle Situation der Jugendlichen in Zukunft zu verbessern. Das ist Gegenstand eines europäischen Paktes für die Jugend, den wir erarbeitet haben, den am Anfang Premierminister Zapatero und Goran Persson, der Premierminister von Schweden, verabschiedet haben und den anschließend der gesamte Rat verabschiedet hat. Die Kommission hat, glaube ich, die Absicht, diesen Pakt in die Reformen mit einzubinden, die (im Rahmen der) Lissabon-Strategie vorgesehen sind, und zwar anlässlich des nächsten Rates.

Wir wollen natürlich unsere Industrie unterstützen, und deshalb schlagen wir vor, dass die großen Innovations- und Technologieprogramme neu aufgelegt werden, ausgehend von den Überlegungen, die angestellt werden von einer hochrangigen Industriegruppe aus Deutschland und Frankreich.

Wir haben natürlich auch lange über die Reform des Wachstums- und Stabilitätspaktes gesprochen. Wir sind zuversichtlich, was die Arbeit der luxemburgischen Präsidentschaft anbelangt. Der Ratsvorsitzende wird morgen ein Gespräch mit dem Bundeskanzler führen, und hinsichtlich des wirtschaftlichen und sozialen Fortschritts soll die manchmal zu strikte Auslegung des Stabilitätspaktes anders ausgelegt werden. Es ist ein Stabilitäts- und Wachstumspakt, um den es hierbei geht. Dies wurde manchmal vergessen; es ist in den Hintergrund getreten. Wir wollen das Ganze etwas flexibler gestalten, damit unsere Volkswirtschaften besser angepasst werden können. Was all dies anbelangt, sind wir zu gemeinsamen Schlussfolgerungen gekommen.

Natürlich haben wir eine gemeinsame, dynamische Position zu allen Themen, die beim Rates zur Diskussion kommen werden. Der Herr Bundeskanzler hat in Deutschland -dies ist international wirklich sehr positiv aufgenommen worden- eine sehr entschlossene und dynamische Politik zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und gegen die Verlagerung von Industrieunternehmen in Angriff genommen. In Frankreich sind die Ziele, die wir uns gesetzt haben, und auch die Politik gleich, wobei natürlich jedes Land seine eigenen Eigenschaften hat. Aber unsere Politik ist absolut kohärent.

Was die Außenpolitik anbelangt, hat der Bundeskanzler ausgeführt, dass wir eine starke, stabile und ausgeglichene Partnerschaft zwischen der Europäischen Union und Russland anstreben. Demnächst, und zwar am 18.März, wird -dieses mal in Paris- ein Treffen zwischen Präsident Putin, dem spanischen Ministerpräsidenten Zapatero und uns beiden stattfinden. Wir werden uns dort in diesem Geist unterhalten, nämlich dem Geist einer stabilen, starken und ausgeglichenen Partnerschaft in den Beziehungen zwischen der EU und Russland.

Was aktuelle internationale Fragen anbelangt, so haben wir genau dieselbe Meinung, sei es, was die Konferenz von London anbelangt, die wir unterstützt haben, sei es, was die palästinensische Autonomiebehörde anbelangt, oder sei es, was die Krise anbelangt, die gerade im Libanon entstanden ist. Wir unterstützen -dies ist übrigens die Unterstützung der gesamten internationalen Völkergemeinschaft- die Umsetzung der Resolution 1559. Wir unterstützen auch die Einrichtung eines Untersuchungsausschusses, der herausfinden soll, warum der libanesische Premierminister ermordet worden ist. Wir unterstützen auch nicht nur den Rückzug der Streitkräfte, sondern auch der gesamten Geheimdienstkräfte Syriens, damit das libanesische Volk in Kürze demokratisch über sein Schicksal entscheiden kann.

Uns liegt auch sehr daran, (gemeinsam) mit unseren britischen Freunden Verhandlungen zu führen, damit der Iran sein Nuklearprogramm in Zukunft nur zu friedlichen Zwecken einsetzt. Unsere Meinungen stimmen auch voll und ganz überein, wenn es darum geht, die Probleme anzusprechen, die beim G8-Treffens im Juli angesprochen werden, (etwa) was die Klimaveränderung anbelangt. Auch hierbei liegen wir auf der gleichen Linie. Auch, was die Finanzierung der Entwicklung anbelangt, haben wir die gleiche Meinung.

Ich freue mich, dass ich den Herrn Bundeskanzler beim nächsten deutsch-französischen Ministerrat in Paris werde empfangen dürfen, und zwar wird dies am 26.April dieses Jahres sein.

FRAGE: Herr Bundeskanzler, ich habe eine Frage zum Stabilitäts- und Wachstumspakt. Würde die Flexibilisierung, die Sie beide sich spätestens vom EU-Gipfel erhoffen, Ihren Regierungen neue finanzielle Spielräume für den Kampf gegen Arbeitslosigkeit eröffnen?

Wenn ich eine zweite Frage anschließen darf: Wie bewerten Sie die Entscheidung der Deutschen Börse, ihr Übernahmeangebot für die London Stock Exchange zurückzuziehen?

BK SCHRÖDER: Zunächst einmal geht es darum, was den Stabilitätspakt angeht, die Wachstumsorientierung stärker zu betonen. Europa hat eine Phase der Stagnation -Gott sei Dank- hinter sich, aber die Wachstumskräfte in ganz Europa sind noch nicht so sehr gestärkt, dass man zufrieden sein könnte. Dass dies Deutschland in besonderer Weise betrifft, ist gar nicht zu bestreiten. Also geht es darum, Möglichkeiten für mehr Wachstum zu schaffen, also darum, eine Interpretation des Stabilitäts- und Wachstumspaktes zu erreichen, die es uns ermöglicht, materielle Mittel einzusetzen, um die Wachstumsziele zu stärken. Über die Einzelheiten wird mit der Präsidentschaft zu reden sein, und das geschieht natürlich nicht öffentlich.

Im Übrigen will ich die Geschäftspolitik des einen oder anderen Unternehmens nicht öffentlich bewerten.

FRAGE: Ich will diese Frage ein bisschen weiter führen, Herr Präsident, was den Stabilitäts- und Wachstumspakt anbelangt, da sich Deutschland und Frankreich bezüglich dieser Frage geeinigt haben. Ist es z.B. so, dass die Frage des Automatismus des Verfahrens von Ihnen besprochen und berücksichtigt wurde? Haben Sie eine gemeinsame Vision, was die automatische Umsetzung der Verfahren anbelangt, wenn die 3-Prozent-Grenze überschritten wird?

P CHIRAC: Ich möchte hier nicht in die technischen Details einsteigen, was diese Frage anbelangt. Zunächst einmal sind wir der absolut gleichen Meinung, und wir haben die gleiche Haltung, was diesen Stabilitätspakt anbelangt. Wir sind überhaupt nicht für einen Automatismus. Wir sind der Ansicht, dass (der Pakt) auch Wachstumspakt heißt, und dass deshalb, bevor eine Entscheidung getroffen wird, verschiedene Daten einfließen müssen. Die Situation ist die gleiche, wenn wir ein starkes Wachstum haben oder wenn eine Stagnation eingetreten ist. Dies muss natürlich auch berücksichtigt werden.

Jedes Land hat besondere Eigenschaften. Hierbei denke ich z.B. an die Bedeutung, die mit der Entwicklung der neuen Länder einhergeht. Das ist eine besondere Last, die Deutschland tragen muss, und dies muss auch mit in eine Gleichung einfließen, wenn man das - den hohen Nettobeitrag - den Deutschland in Europa bezahlt, wirtschaftlich rechtfertigen will. So hat jeder seine Eigenschaften, die nicht genau gleich gewichtet werden können. Es gibt Ausgaben und Ausgaben. Es gibt Leute, die unheimlich viel Geld für laufende Kosten, für Betriebskosten, ausgeben. Andere gehen die Sache etwas seriöser an. Es gibt Investitionskosten, die auf den Reichtum von morgen setzen, z.B. für Investitionen in Forschung. Sollte man den Betriebskosten die Priorität geben, oder sollte man eher sagen, dass es Länder gibt, die besondere Anstrengungen für die Zukunft -Investitionen in die Forschung- unternehmen? Es gibt auch Ausgaben, die für das Gemeinwohl Europas vorgesehen sind, z.B. Verteidigungsausgaben für die nationale Verteidigung oder die öffentlichen Gelder, die in die Entwicklung fließen. Das heißt, dass das dem gesamten Europa zugute kommt. Das heißt, man kann der Ansicht sein, dass diejenigen, die in diesem Bereich hohe Ausgaben haben, schlechter als die behandelt werden, die sie nicht haben und die nicht den gleichen Beitrag für die Sicherheit Europas leisten.

Es darf also keinen Automatismus geben. Es muss die Fähigkeit gegeben sein, das Ganze zu gewichten. Das heißt, die Umsetzung eines solchen Paktes kann nicht rein technokratisch gesehen werden. Sie muss politisch angegangen werden. Das heißt, es muss doch eine gewisse Anzahl von Realitäten einfließen, die wirtschaftlicher und humaner Natur sind. Natürlich geht es überhaupt nicht darum, irgendwie nachlässig zu sein und Dinge schleifen zu lassen. Wenn man eine gemeinsame Währung verteidigt, so muss man Regeln, die dafür gelten, auch strikt umsetzen. Aber die Nachlässigkeit ist eine Seite, und technokratische Sturheit ist eine andere Sache. Hierbei gilt es also, den richtigen Weg zu finden, wenn man die Politik in diesem Bereich definieren möchte. In diesem Bereich gibt es zwischen uns überhaupt keine Meinungsverschiedenheit.

FRAGE: Herr Bundeskanzler, Herr Präsident, wir wissen jetzt, wie die Resolution zum Libanon aussieht. Sind Sie nicht der Ansicht, dass ein schneller Abzug der Syrer zu einem Ungleichgewicht führt? Herr Nasrallah hat sich gestern dazu geäußert und gesagt, dass die syrischen Streitkräfte doch im Land verbleiben sollten.

P CHIRAC: Ich möchte mich nicht in die inneren Angelegenheiten des Libanon einmischen. Ich stelle nur fest, dass die internationale Völkergemeinschaft einstimmig der Meinung ist, dass der Libanon in Zukunft frei und demokratisch handeln können muss. Dies setzt natürlich auch voraus, dass sich die ausländischen Streitkräfte zurückziehen, insbesondere die Geheimdienste. Hierbei spreche ich natürlich von den syrischen Geheimdiensten. Auf dieser Basis kann sich -das hoffe ich- die Demokratie normal entwickeln.

Natürlich ist nicht auszuschließen -ich habe mit großer Aufmerksamkeit verfolgt, was Nasrallah gestern gesagt hat-, dass jeder seine Position kund tut, und es steht mir nicht an, das zu kritisieren, was die Hisbollah zum Ausdruck gebracht hat, natürlich unter der Bedingung, dass dies auf demokratischem Weg erfolgt, das heißt, in einer friedlichen Art und Weise. Es darf keinen Anreiz zu Übergriffen bedeuten, die gegen die Demokratie gerichtet sind.

BK SCHRÖDER: Wir haben keinen Anlass, von dieser Position, die der Präsident beschrieben hat und die eine gemeinsame Position Deutschlands und Frankreichs sowie, soweit wir es sehen, der internationalen Staatengemeinschaft ist, auch nur einen Deut abzuweichen.

FRAGE: Herr Bundeskanzler, Sie haben mit dem französischen Präsidenten über die Arbeitsmarktsituation in beiden Ländern oder in Europa gesprochen. Ist damit zu rechnen, dass Sie noch in dieser Woche aktiv werden?

BK SCHRÖDER: Sie werden verstehen, dass ich diese Pressekonferenz nicht zu nutzen beabsichtige, um Ihre berechtigten Fragen nach Terminen mit der deutschen Opposition zu beantworten. Ich habe darauf hingewiesen, dass ich die Frage für berechtigt halte, dass dies aber nicht der Ort ist, an dem ich sie Ihnen beantworten werde. Das werde ich in Berlin machen, sogar ganz gern. Aber fragen darf man ja.

FRAGE: Wie sehen Sie den aktuellen Stand des Jugendaustausches zwischen Deutschland und Frankreich, und welche Förderung könnten Sie sich vorstellen?

BK SCHRÖDER: Ich glaube, dass man die Arbeit des deutsch-französischen Jugendwerkes nur begrüßen kann. Kern der Arbeit des deutsch-französischen Jugendwerkes ist der Austausch von Schülerinnen und Schülern, von Studentinnen und Studenten, aber auch mehr und mehr von jungen Menschen, die eine berufliche Ausbildung machen. Wir werden übrigens die Gelegenheit wahrnehmen, im April erneut miteinander über diese Frage zu reden; denn wir wollen beide dafür sorgen -das entspricht einem französischen Vorschlag, den wir gerne aufgenommen haben-, dass es erstens eine noch bessere Abstimmung gibt, was Abschlüsse junger Leute -in welchem Feld auch immer- angeht, und dass es zweitens, was die Mobilität von jungen Leuten angeht, zu weiteren Verbesserungen kommt. Natürlich wird die Förderung des deutsch-französischen Jugendwerkes auch in dem bisherigen Umfang fortgesetzt werden.

P CHIRAC: Ich will als Antwort auf die Frage, die gerade gestellt worden ist, nur Folgendes hinzufügen: Dem Vorschlag, den der Herr Bundeskanzler gemacht hat, haben wir uns voll und ganz angeschlossen. Ich möchte sagen: Beim nächsten deutsch-französischen Ministerrat, der am 26.April in Paris stattfinden wird, sind verschiedene Aktionen zwischen Deutschland und Frankreich vorgesehen, damit die Mobilität der Studenten, der Forscher, der Lehrer und der Kunstschaffenden gefördert wird. Mit anderen Worten möchte ich sagen: Das, was der Herr Bundeskanzler vorgeschlagen hat, und dem schließen wir uns voll und ganz an, bedeutet, dass die Mobilität der Intelligenz gefördert wird. Dies wird anlässlich unseres nächsten deutsch-französischen Ministerrats ein sehr wichtiger Punkt sein.

FRAGE: Herr Staatspräsident, Herr Bundeskanzler, haben Sie die Absicht, gemeinsam etwas zu tun, was den Wahlkampf für die europäische Verfassung anbelangt?

BK SCHRÖDER: Wir werden die europäische Verfassung in Deutschland im parlamentarischen Verfahren ratifizieren. So sieht das unsere Bundesverfassung vor. Wir hoffen, das so tun zu können -ich kann den Parlamenten ja nicht vorgreifen-, dass wir im Mai damit fertig werden; spätestens Anfang Juni, aber ich glaube, in der letzten Hälfte des Mais. Wir gehen auch davon aus, dass wir die notwendige Zweidrittelmehrheit erreichen werden und damit ein wirkliches Beispiel für die Wichtigkeit und die Bedeutung der Verfassung für Europa werden setzen können, aber auch für die Mitgliedstaaten der Europäischen Union.

Wir wünschen uns natürlich -aber wir haben die Einstellung des französischen Volkes zu respektieren-, dass wir damit auch ein Stück Beispiel für andere setzen werden. Ich habe die Hoffnung, dass die Bedeutung und die Wichtigkeit der Verfassungsfrage in ganz Europa erkannt wird und dass sich -entweder im parlamentarischen Verfahren oder über Referenden- auch Mehrheiten für die Annahme der Verfassung finden werden. Dies ist nicht nur eine Hoffnung, sondern das ist auch Ausdruck dessen, was wir für notwendig halten.

FRAGE: Herr Bundeskanzler, haben Sie über das Thema Iran gesprochen, und, wenn ja, welche Zugeständnisse könnten sich die Europäer, die durch Sie beide vertreten werden, vorstellen?

BK SCHRÖDER: Wir haben eine absolut identische Position, was die Iran-Frage angeht. Wir wünschen uns, dass die iranische Führung einsieht, auf die Verfügung und Produktion von atomaren Waffen zu verzichten, das Nuklearprogramm also ausschließlich friedlich nutzt. In den Verhandlungen wird es darum gehen, für solch ein Vorgehen auch objektive Garantien zu bekommen. Das ist die gemeinsame französisch-deutsche Position, der im Übrigen auch die Briten, die mit am Verhandlungstisch sitzen, zustimmen. Wir haben nach den Gesprächen in Brüssel und auch in Deutschland inzwischen den Eindruck, dass auch die amerikanische Administration diesen Ansatz sehr wohl unterstützt. Deswegen haben wir die Erwartung, dass wir in den Verhandlungen genügend Überzeugungskraft werden entwickeln können, um die iranische Führung zu einem positiven Vorgehen zu bewegen.

P CHIRAC: Diese Frage, was den Iran anbelangt -ich hätte genau die gleiche Antwort wie der Herr Bundeskanzler gegeben-, die einer Frage nach Europa folgt, aus der ganz klar hervorging, dass eine volle Übereinstimmung der deutschen und der französischen Haltung gegeben ist, was europäische Fragen anbelangt, führt dazu, dass ich ganz kurz etwas Allgemeines dazu sagen möchte.

Das Einvernehmen, das es zwischen unseren beiden Ländern gibt, beruht auf einem politischen Willen und auf einer gemeinsamen Vision dieses Europas und dieser Welt von morgen. Es beruht aber auch auf wirtschaftlichen Interessen und auf einer sozialen Vision, die wir gemeinsam teilen. Es beruht auf einer Vision der Welt, die in unseren beiden Ländern die gleiche ist. Es ist sehr schwierig, sich bilateral zu verstehen, wenn man eine bedeutende Macht in der Welt ist und nicht die gleiche Vision von der Welt hat, wenn man nicht die gleichen Grundsätze und Werte -Frieden, Demokratie, Menschenrechte, Rechtsstaat usw.- verteidigt.

Ich bin wirklich sehr erstaunt; denn schon seit Jahren arbeiten wir zusammen, und ich stelle fest, dass der deutsche Bundeskanzler der deutschen Diplomatie wieder ihre ganze Bedeutung wiedergegeben hat -das ist sehr wichtig, auch für Europa und deshalb auch für Frankreich-, sei es, was die Präsenz Deutschlands bei Friedensmissionen in der Welt und die Verantwortung anbelangt, die Deutschland für Friedensmissionen z.B. in Afghanistan, aber auch auf dem Balkan übernommen hat, sei es, was das Vorgehen Deutschlands und der deutschen Diplomatie bei der Reform der Vereinten Nationen anbelangt, sei es die Aktualisierung, die vor kurzem vom Bundeskanzler definiert worden ist, und die Reaktualisierung der transatlantischen Beziehungen, die gestärkt, modernisiert und angepasst werden müssen, sei es, was die wichtigen internationalen Krisen anbelangt, wie die in Afrika, im Irak, im Iran oder im syrisch-libanesischen Umfeld -damit haben wir nicht direkt etwas zu tun, sondern dabei ist der Rechtsstaat angesprochen, wenn die Achtung der Menschenrechte in Frage gestellt wird- , oder sei es, was die wirtschaftliche Präsenz Deutschlands auf den großen Märkten dieser Welt und den zukünftig wichtigen Märkten dieser Welt anbelangt.

Wir begrüßen das; denn die Erfolge, die der Bundeskanzler auf den großen Weltmärkte und den zukünftigen Märkten erzielt -vorgestern in China, gestern in den Golf-Staaten-, sind sehr wichtig für Europa und für eine Strategie, wenn es darum geht, Europa weiterzuentwickeln oder wenn es darum geht, was Deutschland im Hinblick auf die europäische Integration tut. Wir stimmen dem voll und ganz zu, sei es hinsichtlich der Erarbeitung und Umsetzung der europäischen Verfassung, sei es die Rolle, die er bei einer vernünftigen Lösung der Probleme des Stabilitätspaktes spielt -wobei die Art und Weise, in der das Ganze behandelt werden muss, jetzt nicht in Frage gestellt werden darf-, sei es, was die wirtschaftlichen und sozialen Forderungen anbelangt, sei es, dass es um die Wettbewerbspolitik in Europa geht, die flexibler sein muss und die der Entwicklung in den europäischen Volkswirtschaften besser angepasst werden muss, oder sei es, dass es darum geht, Europa seine ganze Kraft und seine Trümpfe wieder in die Hand zu geben. Zwischen uns besteht dabei volle Übereinstimmung.

Ich möchte damit feststellen: Es gibt überhaupt keinen Grund, aus dem wir unterschiedlicher Meinung sein könnten. Haben wir unterschiedliche Meinungen, dann regeln wir das immer wieder a priori. Damit kann ich sagen, dass das System unserer Beziehungen ein starkes, kohärentes, zusammenhängendes System ist, das in der Lage ist, Impulse zu verleihen. Hierbei stimmen wir voll und ganz in unserer Vorgehensweise überein. Es war mir sehr wichtig, dies hier noch einmal zu betonen.

BK SCHRÖDER: Vielen Dank, meine Damen und Herren!





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